Fuchsthone Orchestra

Entdeckerlust im Großformat

© Volker-Beushausen

Mit dem Fuchsthone Orchestra wandeln die beiden Kölner Saxofonistinnen, Komponistinnen und Arrangeurinnen Christina Fuchs und Caroline Thon jenseits ausgetretener Pfade. Structures & Beauty heißt das komplexe Debüt ihres Großensembles, das einen Kosmos vom Barock bis in die Gegenwart aufzieht.

Von Harry Schmidt

Kein Zweifel: Die Renaissance des groß besetzten Jazz-Orchesters ist eine der kennzeichnenden Entwicklungen des Genres in den Zehnerjahren gewesen. Auch die Figur der Bandleaderin besitzt in diesem Bereich (vergleiche Maria Schneider, Monika Roscher, Sarah Chaksad) keinen Seltenheitswert mehr. Doch zwei Bandleaderinnen an der Spitze eines großen Jazzensembles – diese Konstellation darf wohl als Alleinstellungsmerkmal gelten.

Lange haben Christina Fuchs und Caroline Thon parallel zueinander in der vitalen Kölner Jazzszene gewirkt und die Projekte der jeweils anderen interessiert verfolgt. Beide Saxofonistinnen hatte auch zuvor schon Erfahrungen mit eigenen Bigbands gesammelt (namentlich mit dem Christina Fuchs Soundscapes Orchestra und dem United Women’s Orchestra respektive mit dem Thoneline Orchestra), als der Pianist und Bandleader Georg Ruby, ein bedeutender Aktivposten der Kölner Szene, 2017 mit dem Vorschlag auf sie zukam, ein gemeinsames Konzertprogramm zu gestalten. Das Konzept ging für alle Beteiligten so gut auf, dass der Auftritt zur „Initialzündung“ (Thon) wurde.

Im Jahr darauf wurde die Zusammenarbeit konkreter, im November 2019 stand das neu gegründete Fuchsthone Orchestra erstmals auf der Bühne. Die gelungene Premiere zog eine Art Festengagement nach sich: Seitdem findet im Stadtgarten regelmäßig die Konzertreihe „Reloaded“ statt, für die Fuchs und Thon jeweils neue Programme entwickeln. Auch zwei Kompositionsaufträge für das Bonner Beethovenfest und den Romanischen Sommer in Köln haben sie mit Mitgliedern des Fuchsthone Orchestra umgesetzt.

Mit Structures & Beauty legt die weibliche Doppelspitze nun das Debüt ihrer Formation vor, das mit acht weit ausgreifenden, oft rhapsodischen Tracks als außerordentlich komplexes Doppelalbum daherkommt. „Das erste Album eines Ensembles ist immer auch etwas Besonderes, ein Statement, das man in die Welt sendet. Und wir wollten uns schon recht sicher sein, dass wir den Punkt erreicht haben, an dem wir das auch senden wollen“, sagt Thon. Aufgenommen wurde die opulente Visitenkarte an vier Tagen im Juni 2022 im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks in Köln.

Beide haben je vier Kompositionen beigesteuert, auch die Spieldauer des Albums wurde paritätisch aufgeteilt: Einem Stück von Thon folgt jeweils eines von Fuchs auf CD1, umgekehrt verhält sich’s auf Teil 2 – trotz recht unterschiedlicher Länge der einzelnen Nummern kommen beide Urheberinnen auf rund 47 Minuten Spielzeit. Dabei ziehen Fuchs und Thon einen Kosmos auf, der vom Barock bis in die Gegenwart reicht. Wo Thons „Lednesip“ sich als Adaption des „Larghetto“ aus der Violinsonate in D-Dur von Johann Georg Pisendel (1687-1755) versteht, brechen in das von Jean-Paul Sartres Drama Geschlossene Gesellschaft inspirierte „The Truth of J.P.S.?“ (john-)zornige Noise-Attacken ein, die dessen Schlüsselaussage „Die Hölle, das sind die anderen“ unmissverständlich in die Gegenwart holt und auf ihre Konsequenzen befragt.

Auch für die Stücke von Fuchs spielen außermusikalische Anregungen eine große Rolle: Während „Iceland“ das Bersten der abschmelzenden Gletscher spürbar zu machen sucht – Filippa Gojo deklamiert dazu aus Reden von Greta Thunberg –, basiert „Mamoiada“ auf einem sardischen Volkstanz namens „Passu torrau“. „Suite Structures“ wiederum ist eine Überführung natürlicher Strukturen in Musik, aufgeteilt in sechs kurze Sätze. Auch Thons „The Beauty“, in dem Gedanken von Lukrez buddhistischen Vorstellungen gegenübergestellt werden, sei eine „Ode an die Natur“, so die Autorin. Die Affirmation von Programmmusik oder „Themenmusik“ (Fuchs) gehört auf jeden Fall zur Schnittmenge der Positionen beider Künstlerinnen.

© Volker-Beushausen

Ähnlich wie Carla Bleys Escalator over the Hill eignet Structures & Beauty eine Art von musikdramatischer Aura, die hier jedoch keinen narrativen Faden verfolgt. Vielmehr gehe es ihnen um „Entdeckerlust, darum, noch nicht begangene Wege zu beschreiten – ein Luxus, der so nur mit einem festen Ensemble möglich ist“, so Thon. Zudem „authentisch zu bleiben“, ergänzt Fuchs, „das zu machen, was rausmuss.“

In Sachen Ensembleklang gehen sie mit dem 2021 in der Kategorie „Großensemble des Jahres“ für den Deutschen Jazzpreis nominierten Fuchsthone Orchestra über die klassische Bigbandbesetzung hinaus: Mit Zuzana Leharová gehört auch eine Geigerin zur Stammformation, die Tontechnikerin und Soundgestalterin Eva Pöpplein wird jeweils zu einem recht frühen Zeitpunkt in den Kompositionsprozess einbezogen und hat dementsprechend nicht nur einen maßgeblichen Impact auf den gesamten Fuchsthone-Sound, sondern auch eine eigene Spur im Klangbild. Gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen seien die Basis ihrer Zusammenarbeit, betonen die Leaderinnen einstimmig. Nur darüber, gegenseitig Stücke voneinander zu arrangieren, seien sie noch geteilter Meinung: Fuchs sagt, sie habe zunächst den ersten Schritt gehen wollen, Thon, die gute Erfahrungen damit gemacht hat und sich das vorstellen kann, gibt sich im Konferenzgespräch indes optimistisch: „Ich höre da eine neue Offenheit heraus“, quittiert sie die Antwort ihrer Partnerin.

Aktuelles Album:

Fuchsthone Orchestra: Structures & Beauty (Enja / Edel:Kultur)