Nina Simone

© CEA Cache Agency

Musik für Liebhaber

Vor neunzig Jahren wurde in North Carolina eine der größten Stimmen – und Pianistinnen! – geboren, die der Jazz je hervorgebracht hat. Dabei wollte Nina Simone eigentlich Konzertpianistin werden, doch die zutiefst rassistischen Strukturen ihrer Zeit ließen das nicht zu. Ein bislang unveröffentlichter Live-Mitschnitt vom Newport Jazz Festival 1966, der jetzt erscheint, wirft ein Schlaglicht auf ein Jahr, das zu Nina Simones ganz großen zählte.

Von Rolf Thomas

1966 wurde Nina Simone von dem Produzenten, Arrangeur und Dirigenten Hal Mooney betreut – ein Glücksfall für die Sängerin, denn Mooney schneiderte ihr zwischen 1964 und 1967 kommerziell erfolgreiche Alben wie I Put a Spell on You, Wild is the Wind, Silk & Soul, High Priestess of Soul und Nina Simone with Strings auf den Leib, die großorchestrale Meisterwerke wie „Feeling Good“ enthielten – das Lied hatte Simone noch jahrzehntelang im Repertoire, obwohl es ihr eigentlich selten richtig gut ging –, aber auch schlichte Popsongs wie Simones Fassung von Chuck Berrys „Brown Eyed Handsome Man“ oder den für sie vom Gitarristen Rudy Stevenson komponierten Gospelsong „I’m Going Back Home“, den die amerikanische R&B-Sängerin Ledisi vor Kurzem gecovert hat.

Mit „I Put a Spell on You“ war Mooney außerdem für einen der größten Hits von Nina Simone verantwortlich – und zwar lange, bevor „Ain’t Got No, I Got Life“ und „To Love Somebody“ die Charts stürmten. Das Lied kennt natürlich jede*r, denn Screamin’ Jay Hawkins hatte damit nicht nur einen der großen frühen Rock’n’Roll-Hits geschrieben – die Single erschien 1956 –, sondern mit seiner furchterregenden, von wilden Schreien durchsetzten Performance auch für ein nachhaltig im Ohr bleibendes Klangerlebnis gesorgt; Jim Jarmusch verwendete den Song noch 1984 in seinem Film Stranger Than Paradise. Vom Knallchargen-Image Hawkins’ – er gab später zu, bei der Aufnahme stark betrunken gewesen zu sein – hielt Nina Simone selbstverständlich nichts, sie sang den Song getragen und profitierte außerdem von Gitarrist Rudy Stevenson, der in außergewöhnlich guter Form war.

© CEA Cache Agency

In dieser Phase ihrer Karriere befand sich Nina Simone, als sie am 2. Juli 1966 beim Newport Jazz Festival auftrat. Das Material auf You’ve Got to Learn ist tatsächlich bislang unveröffentlicht, wie die Plattenfirma korrekt vermeldet. Zwar hatte es bereits in den 60er Jahren ein Album namens Nina at Newport auf dem Columbia-Ableger Colpix Records gegeben, auf dem sind allerdings sieben ganz andere Songs zu hören (unter anderem der New-Orleans-Klassiker „Little Liza Jane“ und der Jazz-Standard „You’d Be So Nice to Come Home to“).

Das jetzt erschienene Livealbum enthält sechs Songs, darunter „You’ve Got to Learn“ – der Song hat dem Album schließlich den Titel gegeben –, der Gershwin-Klassiker „I Loves You, Porgy“, Nina Simones wütende Civil-Rights-Anklage „Mississippi Goddamn“, die das Publikum von den Sitzen reißt und für die sie stehende Ovationen bekommt – und zwar so lange, dass Nina Simone sich gezwungen sieht, eine Zugabe zu geben (was sie nicht gerne getan hat). Sie entscheidet sich für „Music for Lovers“ von Bart Howard – der Mann hatte immerhin „Fly Me to the Moon“ für Frank Sinatra geschrieben und konnte davon bis zu seinem Tod im Alter von 88 Jahren ausgesprochen gut leben –, ein Lied mit einem berührenden Text, das Simone entsprechend vorträgt (natürlich auch ein alter Trick, um das Publikum zu beruhigen und nicht eine weitere Zugabe zu provozieren). Aber Simone hat den Song, der in den Zeilen „When the whole world discovers / That love is the only thing worthwhile / There’ll be music for everyone / And the whole world will smile“ gipfelt, wirklich gemocht und 1969 auf dem Album Nina Simone and Piano! noch einmal eingesungen – und zwar entgegen dem Albumtitel lediglich von einer Hammondorgel begleitet.

Der Zustand, den Howard im Refrain seines Songs beschwört, ist bekanntlich nie eingetreten, und daran ist auch Nina Simone – unter anderem – zerbrochen. Aber zum weiteren Verlauf ihrer Karriere ist längst alles gesagt worden, vor allem im mit einem Oscar prämierten Dokumentarfilm What Happened, Miss Simone? Tja, was ist Nina Simone passiert? Das Leben, hätte John Lennon gesagt, und Nina Simones Tochter Lisa, selbst eine gute Sängerin, die längst ihren Frieden mit der manisch-depressiven Mutter gemacht hat, gibt bis heute detaillierte Antworten auf diese Frage.

Das alles spielt im Sommer 1966 aber noch überhaupt keine Rolle. Auf You’ve Got to Learn erleben wir vielmehr eine der bedeutendsten Künstlerinnen aller Zeiten auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Kreativität und Schaffenskraft – von einem solchen Ereignis kann es gar nicht genug Livemitschnitte geben.

Aktuelles Album:

Nina Simone: You’ve Got to Learn (Verve / Universal)