Gebhard Ullmann
Bis einem fast der Kopf platzt
Gebhard Ullmann setzt mit der Gruppe MikroPULS die Mikrotonalität auf die Tagesordnung des Jazz.
Von Christoph Wagner
Dass innerhalb einer Oktave weit mehr als die im Tonsystem der westlichen Welt üblichen zwölf Halbtonschritte Platz finden können, ist lange bekannt. Dass man mit den dazwischenliegenden Mikrotönen auch Jazz-Standards spielen kann, beweist jetzt der Saxofonist Gebhard Ullmann.
Christoph Wagner: Wie kommt man auf so eine verwegene Idee?
Gebhard Ullmann: Ich spielte immer schon Mikrotöne auf dem Saxofon, habe dann angefangen, systematisch Vierteltöne zu üben, mir die entsprechenden Griffe erarbeitet und notiert, danach Akkordbrechungen in Viertelschritten rauf und runter geübt. Man muss sich also zuerst das technische Know-how erarbeiten. Gleichzeitig habe ich angefangen, Stücke für Bläserprojekte zu schreiben, die Mikrotonalität enthielten, etwa für mein Klarinettentrio oder das Tá-Lam-Projekt. Das ist sicher schon mehr als zehn Jahre her. Dann hab ich für mein Basement-Research-Projekt einen Blues in Vierteltönen geschrieben. Das war meine erste Band mit Rhythmusgruppe, mit der ich den Vorstoß in die Welt der Mikrotöne unternommen habe. Der Gedanke dahinter war recht einfach: Die Blue Note ist ja im Grunde nichts anderes als ein Mikroton. Ich habe ein Stück geschrieben, wo das vorkam, habe aber auch die anderen Intervalle mikrotonal hoch- und niedergesetzt, also die Blue Note in einen anderen Zusammenhang gestellt. Danach habe ich, wenn ich irgendwo eingeladen wurde, Jazzstandards zu spielen, angefangen, immer mehr Vierteltöne einzusetzen. Das eröffnete ganz neue Welten. Mittlerweile beherrsche ich die Mikrotonalität auch auf der Klarinette und der Bassklarinette. Auf dem Saxofon bin ich darin inzwischen so geübt, dass ich Vierteltöne in jeder Spielsituation sinnvoll einsetzen kann, auch bei Standards.
Christoph Wagner: Was machen die Mikrotöne mit Jazzstandards?
Gebhard Ullmann: Sie eröffnen völlig andere tonale Möglichkeiten und sind ein Weg, nicht immer die gleichen Phrasen bemühen zu müssen. Sie erweitern die Tonalität. Dave Liebman, mit dem ich ganz gut befreundet bin, hat irgendwann einmal sein Tenorsaxofon weggelegt mit der Bemerkung: „Es ist alles darauf bereits gesagt.“ So ähnlich war es auch bei mir. Ich hab dann andere Instrumente gespielt – Bassklarinette, Flöten, Klarinette –, nur um aus diesem Käfig herauszukommen. Über die Mikrotonalität habe ich zum Saxofon zurückgefunden. Es ist ein Bereich, der noch weitgehend unerforscht ist. Spannend ist es für mich, mikrotonale Stücke zu komponieren. Für Bläser geht das ausgezeichnet, nur – was machen, wenn eine Gitarre oder ein Klavier dabei ist?
Christoph Wagner: Das ist bei MikroPULS der Fall. Wie kam das Quartett mit Hans Lüdemann, Eric Schaefer und Oli Potratz zustande?
Gebhard Ullmann: Ich habe vor ein paar Jahren Hans Lüdemann wiedergetroffen, mit dem ich bereits während des Studiums ein Duo hatte. Da habe ich bemerkt: Hans interessiert sich auch für Vierteltöne – und ist genau an demselben Punkt wie ich. Wir haben dann wieder zusammengespielt. Er hat mir seine Stücke gegeben und ich ihm die meinen. Wir haben entdeckt, dass unsere Vierteltonmelodien auch unisono spielbar sind, was ja nicht ganz einfach ist. Da haben wir entschieden: Wir müssen daraus etwas machen! Wir haben Eric Schaefer [dr] und Oli Potratz [b] ins Boot geholt. So ist das Quartett MikroPULS vor ein paar Jahren entstanden.
Christoph Wagner: Für einen Pianisten ist Mikrotonalität eine Unmöglichkeit. Wie wird sie von Hans Lüdemann bewältigt?
Gebhard Ullmann: Er hat neben dem akustischen Flügel ein zweites, elektronisches Keyboard, auf dem ein Steinway-Flügel gesampelt ist. Dieses Keyboard kann man stimmen bzw. verstimmen, also die Töne zwischen die Tasten des akustischen Flügels legen. Hans Lüdemann spielt mit der linken Hand den normalen Steinway und mit der rechten das Keyboard mit den Vierteltönen. So hat man volle Vierteltönigkeit. Aus einer Lautsprecherbox unter dem Flügel ertönt der gesampelte Steinway, was den Eindruck eines einzigen mikrotonalen Instruments ergibt. Die beiden Instrumente klingen also wie ein einziges akustisches Vierteltonklavier.
Christoph Wagner: Welche Herausforderungen bringt das mit sich?
Gebhard Ullmann: Vor jedem Konzert müssen wir einen ganzen Tag proben, um uns wieder in diese andere Klangwelt hineinzuversetzen. Das öffnet ungeheuer viele Türen, schlicht deshalb, weil man doppelt so viele Töne zur Verfügung hat. Es ermöglicht völlig irre Effekte. Man sieht das auch bei den Zuhörern, die manchmal völlig überrascht und verwundert reagieren. „Was geht denn hier vor?“, scheinen sie zu fragen. Manchen geht dabei richtig das Gesicht auf.
Christoph Wagner: Welchen Effekt hat das auf die Improvisation?
Gebhard Ullmann: Man muss bei einem betreffenden Stück wissen, wo es mit Vierteltönen arbeitet und wo es sich in der normalen Tonalität bewegt. Es hat also sehr viel mit Wissen, Erfahrung und Geschmack zu tun. Es dauert, bis man die Mikrotonalität verinnerlicht hat, bis man sich völlig selbstverständlich darin bewegt, und dass auch das schnelle Umschalten von den Halbtönen zu den Vierteltönen reibungslos funktioniert. Das habe ich mittlerweile drauf, hat aber Jahre der Übung erfordert. Diese Wechsel gehen manchmal so weit, dass einem fast der Kopf platzt.
Aktuelle CD:
Gebhard Ullmann, Hans Lüdemann, Eric Schaefer, Oliver Potratz: MikroPULS (Intuition / In-Akustik)