Heiner Goebbels

Heiner Goebbels © Wonge Bergmann / ECM Records

Immer besser scheitern

Heiner Goebbels viersätzige meta-sinfonische Komposition A House of Call.

Von Hans-Jürgen Linke

Ein „House of Call“ ist kein Konzertsaal. Im 19. Jahrhundert in England war es der Name eines semi-offiziellen Ortes der Begegnung zwischen Anbietern einer Arbeit oder Fertigkeit und potenziellen Auftraggebern – ein Ort des Kommens, Gehens und Anknüpfens. Heiner Goebbels viersätzige Orchesterkomposition A House of Call verwandelt also zunächst den Konzertsaal. Das Ensemble Modern Orchestra, dessen Kern das Ensemble Modern ist und das wie um 90 Grad gedreht auf der Bühne sitzt, repräsentiert also ein Angebot, gegenüber sitzen die Abnehmer.

Auch ein Orchester mit beleuchteten Notenpulten will inszeniert sein. Der Dirigent Vimbayi Kaziboni steht schon am Pult und hat zusammen mit einigen Musikern mit der Arbeit begonnen, etliche kommen nach und nach herein, einige gehen später wieder für einige Zeit hinaus, wenn sie nicht gebraucht werden. Alles beginnt mit gut ausgeleuchteter allgemeiner Unruhe, die nach Neuer Musik klingt. Dann, nach einer Art Blitzschlag, hat sich das Licht konzentriert, ein neuer Anfang.

Goebbels Komposition blickt, unter anderem, zurück. Sie resümiert und reflektiert jene spezielle theatrale Ästhetik, die er entwickelt hat: eine musikbasierte Bildwelt, vielschichtig und reich an diachronischen, semiologischen, politischen Bezügen, ausgestattet mit einem starken Magnetismus für jegliche Aufmerksamkeit im Raum. Es ist eine Ästhetik der allgegenwärtigen Verfremdung und Material-Anverwandlung, der Aufkündigung jeglicher Eindeutigkeit, der freigeistigen Kombination und Konfrontation zwischen Bühnen- und Denkbewegung. Ein monumentales Werk, dessen Gestus auf Monumentalismus gänzlich verzichtet, in das aber eine unüb

Heiner Göbbels © Rainer Wohlfahrt / ECM Records

erschaubare Fülle von Material Eingang gefunden hat.

Ein parallel produziertes Buch, das den Untertitel „Materialausgabe“ führt, gibt Auskunft über die wichtigsten Einflüsse und Anregungen, die hier zusammenkommen und die seit je Heiner Goebbels künstlerische Wege geprägt haben. Ein Ereignis im Oktober 1981 bei einer Boulez-Uraufführung in Donaueschingen ist übrigens, wie sich nachlesen lässt, Grund für den komponierten Blitzschlag, der zugleich auch auf Joseph Beuys verweisen könnte.

© Astrid Ackermann

Auf der Bühne kommt das Werk ohne Gedankenschwere daher. Mit seiner weithin schwingenden Rhythmik und eigentümlichen Eingängigkeit, pointiert ausgeleuchtet und wunderbar klang- und assoziationsreich, lässt es all die ausgebreiteten und eingearbeiteten Haltungen und Materialien als wechselvolle Serie von Denk-, Seh- und Fühlvorschlägen erscheinen. Die Inszenierung ist sparsam – ein mikrofoniertes Orchester, ein dirigierender Dirigent, eine konzentrierte Lichtregie. Viel weniger Inszenierung geht kaum, sonst wäre es ja nur ein Orchesterkonzert.

Das Finale ist ein monochromer Orchester-Gesang, sparsam begleitet von (nacheinander) Klavier, Harfe, Vibrafon – ein säkulares Gebet auf einen Text von Samuel Beckett, eine Adresse an das (oder aus dem?) Jenseits. Und vielleicht ein Rückblick auf das eigene Komponieren: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.”

Heiner Goebbels: A House of Call. Materialausgabe, Neofelis-Verlag, Berlin, 140 Seiten, 9 Euro