HÖRBUCHT

ANDERNTACH UNGEMACH

Und Gott sprach: Es werde Lucht!

In der Hörbucht.

In der Hörbucht…

Björn Simon

Jan Müller / Rasmus Engler

Vorglühen

Gelesen von Jan Müller

Hörbuch Hamburg

4 Sterne

Geil, oder?“ Dies dürfte die häufigste Wortfolge in Vorglühen sein, die Phrase beschreibt auch das vorherrschende Lebensgefühl dieser autofiktionalen Coming-of-Age-Geschichte. Der Luftikus Ripplinger, der so gut wie alles und jedes solcherart kommentiert und sich nur allzu gern bereiterklärt, mit irgendeinem geliehenen Fahrzeug alles mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest ist, solange es nichts kostet, ist nur einer der skurrilen Typen aus dem lebenssatten Personaltableau von Vorglühen. Für Tocotronic-Bassist Jan Müller ist es ein Debütroman, sein Koautor Rasmus Engler, mit dem Müller seit 1998, etwa mit Projekten wie Das Bierbeben, Das Stosstrupp Revival Duett oder Dirty Dishes, eine enge künstlerische Freundschaft verbindet, war bereits in der Vergangenheit publizistisch aktiv. Erzählt wird aus der Sicht von Albert Bremer: Der möchte im Frühjahr 1994 der Enge und Langeweile der oberbergischen Provinz entfliehen und schreibt sich in Hamburg für ein Germanistikstudium ein. Doch eine Nacht auf St. Pauli genügt, um seinem Leben eine entscheidende Wende zu geben. Einer schier endlosen Parade von Liveclubs, Bars, Kneipen und Spelunken, bei der ein nicht abreißender Strom von Astra, Jever und Faxe sich mit Aprikosengeist oder auch mal einem Whiskey-Cola („zur Erfrischung“) vermischt, kommt es zum Filmriss. Anderntags folgt die Erkenntnis, dass er unterdessen sowohl Mitglied einer WG in Reeperbahnnähe als auch Gitarrist einer Band geworden ist. Albert hat zwar keine Erinnerung daran, aber sein nächtlich betrunken hingerotztes „Freak Scene“ habe Claus, Susesh und Gernot überzeugt, erfährt er von den neuen Bandkollegen. Dieser Initiation folgen viele weitere: der erste Aufenthalt in einem Proberaum, das erste Mal Backstage, das erste Plektrum, der erste Live-Auftritt. Später dann: den ersten eigenen Song singen, zum ersten Mal bei Penny eine andere Flüssigkeit als Bier erstehen, zum ersten Mal mit seinem Vater telefonieren, zum ersten Mal nüchtern über den Fischmarkt laufen, zum ersten Mal eine Melone kaufen – und tatsächlich auch: zum ersten Mal innigen Sex haben. Denn Vorglühen ist, bei allem Indie-/Alternative-Namedropping, auch eine Liebesgeschichte. Doch Diana, das Mädchen mit den schwarzen Haaren im Fields-of-the-Nephilim-T-Shirt aus dem Comicladen, das es Albert angetan hat, zeichnet sich vor allem dadurch aus, nur höchst selten erreichbar zu sein. Dass Musik sein neuer Lebensmittelpunkt wird, scheint sich mehr oder weniger zwangsläufig aus der Verkettung absurder Ereignisse zu ergeben. Der Uni-Campus wird dagegen lediglich zweimal betreten, zuletzt – Albert wundert sich über die Leere auf dem Gelände – in der vorlesungsfreien Zeit. Mit die schönsten Pointen wirft der Running Gag um den sich ständig ändernden Bandnamen ab: Wulst, Nerz, Mehrwert, Strobel, Kluft, Rundstück Warm – Lokalkolorit und Zeitgeist gehen Hand in Hand. Zwar dürften Kenner der damaligen Szene versucht sein, in der einen oder anderen der schrägen Gestalten ein Porträt real existierender Charaktere zu erkennen – ein Schlüsselroman ist Vorglühen dennoch nicht. Das legt bereits die Kompositfigur des Protagonisten nahe: Albert ist weder mit Müller noch mit Engler identisch, trägt aber wohl Züge beider Autoren. Obwohl recht konventionell erzählt, gelingt ihnen mit Vorglühen ein empathisches Panoptikum der Hamburger Schule in jungen Jahren.

Harry Schmidt

Dirk Stermann

Maksym

Gelesen vom Autor

Lübbe Audio

4 Sterne

Wie in 6 Österreicher unter den ersten 5 trägt auch der Protagonist in Dirk Stermanns neuem Roman Maksym denselben Namen wie dessen Autor. Seit mehr als drei Dekaden lebt der 1965 in Duisburg geborene Kabarettist und Moderator in Wien, fast ebenso lang tritt er mit Christoph Grissemann im Satireduo Stermann & Grissemann auf, etwa als Gastgeber der ORF-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“. Nahezu zeitgleich mit der Buchveröffentlichung bei Rowohlt liegt eine von Stermann selbst gelesene Hörbuch-Fassung auf Lübbe Audio vor. Im Zentrum der Geschichte steht der titelstiftende Ukrainer, ein Glatzkopf mit Boxernase, der im Au-pair-Portal „wie ein Elefant im Kinderporzellanladen“ wirkt. Nach einigen Fehlversuchen wird Maksym tatsächlich engagiert, denn Nina, die Frau des Ich-Erzählers, muss für einige Monate nach New York. Maksym soll sich um den vierjährigen Sohn Herrmann kümmern, wenn Stermann seinen Tournee-, Radio- und TV-Verpflichtungen nachkommen muss. Was in der Vergangenheit wohl nicht selten der Fall gewesen ist, nennt Herrmann den Vater doch immer wieder Banksy. Ein Plot, der dem „Humorarbeiter“ Stermann reichlich Gelegenheit bietet, die Handlung in skurrilen, lakonischen und grotesken Wendungen zu entfalten. Firmierte der Erstling im Untertitel als „Roman einer Entpiefkenisierung“, ist Stermann mittlerweile komplett angekommen und integriert. Wien, „selbst ein altes Haus“, gilt ihm wie seinen Kindern – neben Herrmann ist da noch, aus seiner ersten Ehe, Tochter China die sich auf Weltreise befindet und in Form von Postkarten auftaucht – als „gelobtes Land“. Sein Blick auf Österreich und seine Hauptstadt mag zwar nach wie vor ein gut beobachteter wie satirisch zugespitzter sein, einer „von außen“ ist er nicht mehr. Eher formuliert Stermann eine liebevoll sarkastische Binnenperspektive. Dabei schont er sich nicht und zeigt keine Scheu, auch aus eigenen Unzulänglichkeiten, Verfehlungen, Versäumnissen, Irrtümern, Verirrungen und Abstürzen humoristische Funken zu schlagen: „Der Vorteil eines Kinderwagens ist, dass er sich für ältere Väter auch als Gehhilfe eignet.“ Selbstironie ist hier kein Fremdwort, sondern eher ein Strukturprinzip. Missgeschicke und am eigenen Leib erfahrene Unbill nehmen eine zentrale Sonderstellung ein: Mehrfach begleiten wir den Ich-Erzähler auf dem Weg ins Krankenhaus. Vieles wird auch in elliptischen Rückblenden erzählt. Refrainartig wiederkehrende Nebenfiguren wie sein Schriftstellerfreund Robert, der in seiner Villa im Waldviertel die Rücknahme seiner Vasektomie nicht rasch genug über die Bühne bekommt, bevor die neue Flamme ihre Koffer gepackt hat, oder der Wahl-Tiroler Frank, ein ostfriesischer Fels mit Schreibblockade (ein Satz in 15 Jahren, und auch der stammt aus dem Mund seines Sohns) rhythmisieren und kommentieren das Geschehen. Auch wenn einige Pointen ein wenig bemüht oder konstruiert daherkommen, andere etwas platt erscheinen, warten die 527 Minuten von Maksym mit so manch hochkomischer Passage auf. Doch aller Routine des „Humorschaffenden“ zum Trotz hat Stermann hier mehr zu bieten: Sein jüngster Roman ist auch eine Vater-Sohn-Geschichte, in der allen gestattet wird, sich zu verändern, voneinander zu lernen und daran zu wachsen. Musik kommt selten vor: Die Aeronauten haben wiederkehrende Auftritte mit „1–10“, das Stermann bei sich nähernden Panikattacken vor sich hinsummt; die Fehlfarben werden einmal mit der ikonischen Zeile aus „Grauschleier“ zitiert, die dann in der Verdichtung der Schlusspassage verarbeitet wird. Das Ende muss hier selbstredend offen bleiben, die finalen Wendungen vermögen, so viel zumindest dürfen wir wohl verraten, durchaus zu überraschen.

Harry Schmidt