HÖRBUCHT

IMPFUNG-POPIMPFUNG

Wer wollte nicht als Allererstes geimpft werden gegen Corona? Die Queen jedenfalls wäre amused. Wirklich sehr. Helge Schneider auch. Alte, Frauen und Kinder zuerst, wie bei der Rettung von den berstenden Planken der Titanic? Oder doch lieber Künstler, Reiche, Politiker und Ärzte oder andere „Systemrelevante“? 2021 wird das Jahr der Impfung – gegen eine Pandemie, die uns gezeigt hat, wo der Hammer hängt, wo unsere Grenzen sind, mit aller Eindringlichkeit, mit allen Nachwirkungen und Langzeitfolgen, die eine Krankheit nur mitbringen kann. Den Tod als maximale Summe aller Probleme eingerechnet. Statistische Zahlenspiele und Endzeitszenarien werden uns nicht fehlen, wenn wir nur endlich alle so richtig durchgeimpft sind mit dem Stoff, aus dem die Normalitäten sind. Lockdowns erst recht nicht.

Back to the Future. 2021 wird das Jahr des Abschieds. Von Epidemiologen der Herzen, von Einsamkeit, Unsicherheit, Überkompensieren, Misstrauen, von elendig unnützen Diskussionen und pornös übertriebenem Politikerpathos. Abstand, Hygiene und Maske bleiben uns erhalten. Aber auch Kunst und Kultur, Jazz und Anderes. Wobei ein bisschen Hygiene ja noch nie geschadet hat, Masken manche Menschen gar schöner und geheimnisvoller machen und Abstand zu manchen Personen überhaupt nicht verkehrt ist, solange man seine Herzallerliebsten herzen, küssen und knuddeln kann, dass es eine Art hat. Und auch Kunst und Kultur, Jazz und Anderes dürfen einen gerne so intensiv berühren wie früher, unter die Haut gehen. In diesem Sinne: Herzlich willkommen, 2021 – und her mit dem Piks! In der Hörbucht

Björn Simon

Markus Kavka

Depeche Mode

2 Sterne

Chilly Gonzales

Enya

2,5 Sterne

Lady Bitch Ray

Madonna

4 Sterne

Antonia Baum

Eminem

4 Sterne

Alle: Argon Hörbuch

Die KiWi-Musikbibliothek lässt verschiedene Autorinnen und Autoren – darunter Schriftsteller und Journalisten – seit geraumer Zeit einen höchst subjektiven Blick auf diverse Popmusiker werfen. Jetzt sind gleich vier neue Exemplare, die gleichzeitig als Hörbuch im Argon Hörverlag erscheinen, auf den Markt gekommen.

Markus Kavka, als MTV-Moderator zu Ruhm und Ehren gekommen, hat sich seine Lieblingsband Depeche Mode vorgenommen. Doch so einfach wie er, der auf ein erschreckend niedriges Reflexionsniveau kommt, darf man es sich einfach nicht machen. Sein Buch ist ein völlig kritikloser Fan-Aufsatz, der sich höchstens zugutehalten darf, dass Kavka die Band im Rahmen seiner späteren beruflichen Tätigkeit tatsächlich ein paar Mal getroffen hat. Dave Gahan beschreibt er gar als eine Art Duzfreund, was einem dann doch stark übertrieben vorkommt. Außer dass die Band sich irgendwie den Mainstream-Regeln in den achtziger Jahren entzogen hat, hat Kavka wenig zur Faszination von Depeche Mode und deren Inszenierung beizutragen. Nicht einmal für eine Lieblingsplatte kann er sich entscheiden, „weil ich die drei Alben wirklich exakt gleich gerne mag. Ehrenwort!“ Herzig.

Ein wenig besser macht es der Pianist und Dampfplauderer Chilly Gonzales, der sich mit Enya zumindest für eine Figur entschieden hat, die viele als nicht satisfaktionsfähig betrachten würden. Das allerdings ist für Gonzales, der als Einziger dieser Runde sein Hörbuch nicht selbst eingelesen hat, sondern die Aufgabe von seinem Freund Malakoff Kowalski erledigen lässt, keine stimmige Kategorie. Enya sorgt für berührende Momente mit ihrer Musik, die Gonzales vielleicht auch deshalb sucht, weil er „nicht allzu viele berührende Momente in meiner Kindheit“ hatte. Enya („Orinoco Flow“) macht Musik, die dem Kanadier intuitiv gefällt, und allzu viel will er deshalb auch nicht in sie hineingeheimnissen. „Wir müssen über Musikgeschmack sprechen wie über Bananen“, meint er. „Entweder ich mag sie – oder eben nicht.“ So schlicht ist es aber nicht.

Die Sprachwissenschaftlerin, Rapperin und Selbstdarstellerin Lady Bitch Ray – die einst für einen peinlichen Moment bei Schmidt & Pocher sorgte, als sie Oliver Pocher einen Tiegel mit ihrem Scheidensekret überreichte – spricht erstaunlich wenig über die Musik von Madonna. Sie hat viel mehr von Pop verstanden als die Herren Kavka und Gonzales, denn sie kapiert schon als Kind intuitiv, dass es die Gesamtperformance von Madonna ist, die sie so revolutionär erscheinen lässt. Mit viel Begeisterung schildert Ray, wie sie als Elfjährige ein Madonna-T-Shirt im Laden ersteht und es, versehen mit selbst geschriebenen Schildern, auf denen Ausdrücke wie „Schlampe“ stehen, als emanzipatorische Verkleidung verwendet. „Ich war tatsächlich fasziniert von ihrer Power, sexuelle Tabus zu brechen und sich den Raum zu nehmen, den sie braucht als Frau“, erinnert Ray sich. Und diskutiert Madonnas Image, das auch viel mit Rassismus und kultureller Aneignung zu tun hat, durchaus auch kontrovers.

Antonia Baum, Schriftstellerin und Journalistin – früher FAZ, heute DIE ZEIT –, hat sich ebenfalls für eine kontroverse Figur entschieden. Und sie weiß, dass sie sich damit eine Menge Probleme aufhalst: Eminem „ist nicht nur der Verfasser extrem misogyner, homofeindlicher Texte, er ist auch der in Verkaufszahlen erfolgreichste Rapper eines Genres, das von Schwarzen erfunden wurde“. Dass er für sie zugleich ein „absolut großartiger Autor und so etwas wie mein Schriftstellerinnen-Vorbild war“, diesem Widerspruch versucht sie, auf den Grund zu gehen. Das hat etwas zu tun mit Selbstermächtigung, denn obwohl es ihm niemand zugetraut hat, hat Eminem sich einfach mit schwarzen Rappern gemessen, weil er es wollte. Das hat zu tun mit einem eigenen Ton, aber auch mit einer Haltung zur Welt, „und wenn ich an Eminem dachte, wusste ich, was das anging, zumindest besser Bescheid“. Und er hat etwas zu erzählen. Es waren „Geschichten, die erzählt werden mussten“ und die eben nicht aus Baums eigenem Milieu, der Mittelschicht, stammten. Zudem hält sie ein Plädoyer für Rap als eigenständige Kunstform, der vom deutschen Feuilleton zwar geliebt wird – aber eben aus den falschen Gründen und selten verstanden. Damit legt Baum eine ziemlich witzige Analyse von Eminems Karriere vor, die viel von dem, was Popmusik immer noch in Ansätzen subversiv macht, verstanden hat. Dass sie dem späten Eminem nicht mehr viel abgewinnen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Rolf Thomas