HÖRBUCHT

PUTIN ODER NICHT PUTIN?

Neulich Nacht bin ich beim Zappen bei n-tv hängen geblieben, mit perfiden Rankings kriegen sie mich. Diesmal ging es um die tödlichsten, giftigsten und gemeinsten Schlangen der Welt, stundenlang. Erst Afrika, dann Amerika, Nord-, Mittel- und Süd-, und weil jede Rangliste eine Top-Ten war, nur 10 Plätze zu vergeben waren, war eine Schlange giftiger, aggressiver, gemeiner und tödlicher als die andere. Bei den meisten konnte man von Glück sagen, wenn man nach einem Biss mit Amputationen und dem Leben davonkam. Nagetiere hatten natürlich nie eine Chance. Der sympathische Erzähler mit der guten Stimme aus dem Off immer so: Diese Natter ist die bislang fieseste, aber hinter den Bergen bei den sieben Zwergen da lebt eine Viper, die ist ein echter Albtraum. Und dann wieder: Das tödliche Sekret dieser Otter haut eine ganze Büffelherde aus den Latschen, aber das Gift dieser Kobra ist schier unerreicht. Definitiv Platz 1, aaaber waaarten Sie, da gibt es ja noch … Und. So. Weiter. Jede Neuvorstellung bekam etwa fünf Minuten, um zu zeigen, wie viel tödlicher als tödlich sie ist.

Warum ich das eigentlich erzähle und was das überhaupt mit Putin zu tun hat? Mir ist in dieser Nacht eine ebenso perfide Spielidee für die deutschen Wohnzimmer in den Sinn gekommen, denn bei n-tv laufen ja permanent Nachrichten am laufenden Band durchs Bild unten im Ticker. Während eine riesige Python also ihren Kiefer ausrenkte, um das größte Nagetier der Welt, ein Capybara, ganz zu verschlingen, unten im Nachrichtenband weiß auf rot: Störung auf den Bahnstrecken X nach Brand in Stellwerk. Und weiter: Hackerangriff auf Behörde Y – Server komplett abgeschaltet. Man merkt schon, ich kenne mich mit so etwas aus und kann mir Details sehr gut merken. Aber darum geht es auch nicht. Sondern darum, für jede Nachricht einzuordnen und zu raten, ob Putin dahintersteckt oder nicht. PUTIN ODER NICHT PUTIN? EIN SPIEL FÜR DIE GANZE FAMILIE! Deutschland verliert bei der WM 1:2 gegen Japan? PUTIN! Am besten mit Mutmaßungen und Verdächtigungen, wie verdammt er das geschafft hat. Also versammeln sich wieder alle um 20 Uhr vor der Tagesschau, um zusammen PUTIN ODER NICHT PUTIN? zu spielen. Heiteres Raten mit Susanne Daubner oder Judith Rakers als Moderatorin. Das 49-Euro-Ticket ist gefloppt? Nord Stream 1 gesprengt? Deutschland bleibt auf Millionen Impfdosen und FFP2-Masken sitzen? Gesundheitsminister Karl Lauterbach parallel in vier Talkshows zu sehen? England mit fünftem Premier seit dem Tod der Queen? Christian Lindner findet das Bernsteinzimmer? Bitte schalten Sie auch nächstes Mal wieder ein, wenn es wieder heißt: PUTIN ODER NICHT PUTIN? In der Hörbucht…

Björn Simon

Martell Beigang

Musik ist King

Dabbelju Verlag

3,5 Sterne

Der Schlagzeuger Martell Beigang gehört seit Jahrzehnten zum Inventar der deutschen Musikszene. Er ist Schlagzeuger bei M. Walking on the Water („Party in the Cemetery“, „Poison“), einer Band, die in den 90er Jahren zu den Königen im deutschen Indie-Rock zählte, unterhält eigene Projekte wie das Jazztrio Swinger Club, ist ein gefragter Studiodrummer, der zum Beispiel für Rosenstolz getrommelt hat, und hat sich als Soundtrack-Komponist hervorgetan, etwa mit der Titelmelodie für die Fernsehserie Stromberg oder mit der Musik für den Kinofilm Der Wixxer. Wie er zur Musik gekommen ist und wie seine lange, gewundene Karriere verlaufen ist, schildert er in diesem Hörbuch.

Seine älteren Brüder waren mitverantwortlich dafür, dass er sich schon früh für Prog- und Jazz-Rock interessierte – Emerson, Lake & Palmer oder das Mahavishnu Orchestra haben ihn als Kind elektrisiert. Als Beigang 15 war und bereits mehrere Jahre Schlagzeug spielte, begeisterte er sich für The Police und nahm für das Düsseldorfer NDW-Label Ata Tak eine erste Single auf. Er hatte Unterricht bei den Jazz-Schlagzeugern Peter Weiss und Jojo Mayer, spielte im Landes- und Bundesjugendjazzorchester und studierte in Köln unter anderem bei Jiggs Whigham. Das alles und vor allem das Leben auf Tour – inklusive einer undichten Bandbustoilette und einer vom Goethe-Institut organisierten Tour durch den Kaukasus – erzählt er mit viel Humor und anekdotengespickt, seiner launigen Sprache inklusive des kuriosen Sprachfehlers „ziemlig“ folgt man gerne. Wie man erkennt, dass man beim Booking übers Ohr gehauen wird, gehört ebenso zu seiner Lebenserfahrung, wie der Umgang mit den Versprechungen der Musikindustrie. Trotz vieler Rückschläge hat Beigang seine Liebe zur Musik nie verloren und seine Teilnahme an unzähligen Projekten – vom Intergalactic Maiden Ballet des exzentrischen Gitarristen Harald Haerter bis zur eigenen Band Eisen – belegen eine unermüdliche Stehaufmännchen-Haltung. Sein größter kommerzieller Erfolg war seine Rolle als Trommler bei Dick Brave & The Backbeats. Doch Exzesse im Sinne einer altertümlichen Sex-&-Drugs-&-Rock’n’Roll-Haltung hat er eher in der Schlager-Branche ausgemacht. Beigang war Ohrenzeuge, als der Schlagzeuger der Flippers von der Bühne aus einer Frau in der ersten Reihe zuraunte: „Betrachte dich bereits als gefickt.“

Rolf Thomas

Lisa Eckhart

Boum

Lübbe Audio

2 Sterne

Lisa Eckhart dürften viele aus dem Fernsehen kennen, denn als Kabarettistin ist sie Dauergast bei Nuhr im Ersten. Sie gilt als umstritten, weil sie gerne provoziert und auch mal mit antisemitischen Klischees spielt. Seit einiger Zeit schreibt sie auch Romane, nach Omama erscheint nun Boum, den sie auch als Hörbuch eingelesen hat.

Um was es darin eigentlich geht, ist nicht ganz klar – im Mittelpunkt steht jedenfalls eine junge Österreicherin, die es nach Paris verschlägt und die sich dort nach einiger Zeit als Edel-Prostituierte verdingt. Auch Eckhart selbst hat es übrigens aus der österreichischen Provinz einst nach Paris verschlagen, weil sie dort Germanistik und Slawistik studiert hat. Vielleicht will sie der französischen Hauptstadt mit diesem Roman ein Denkmal setzen, aber das Problem ist eben, dass nie klar wird, was dieser Roman eigentlich will. Die Temperatur ihrer Sprache ist jedenfalls kalt, alle Protagonisten werden aus maximaler Distanz betrachtet, sympathisch ist einem eigentlich niemand. Ein Serienmörder, der von den Medien mit dem dämlichen Namen „Le Maestro Massacreur“ belegt wird, treibt sein Unwesen und tötet Straßenmusikanten, die er dann auch noch malerisch an den Saiten ihrer Instrumente aufknüpft. Es kommen auch noch Islamisten und ein Terrorexperte – dessen Name dem Buch den Titel gibt – vor, was das alles miteinander zu tun hat, muss der geneigte Hörer sich selbst denken. Die Puffmutter heißt nicht „Layla“ – warum ist Eric Clapton eigentlich noch nicht gegen das Lied vorgegangen? –, sondern „Veuve Cliquot“, und das männliche Geschlechtsteil wird von Eckhart permanent als „Schweif“ bezeichnet. Eckhart liebt es, banale Dinge in einer elaborierten Diktion zu beschreiben, doch irgendwann ist man der geschraubten Sprache müde – man ahnt zwar, dass ihre Idee, dem Eiffelturm eine Burka überwerfen zu wollen, irgendwie provozieren soll, weiß aber nicht so recht, wen oder was.

Wer sich das Buch dennoch antun will, sollte zum Hörbuch greifen, denn Eckharts österreichische Sprachfärbung lässt zumindest auch die abstrusesten Passagen in dem grellen, manchmal wie ein Comic wirkenden Konstrukt charmant erscheinen.

Rolf Thomas