HÖRBUCHT

YOLO

Es gibt ein Lebben. Es gibt ein Lebben. Es gibt ein Lebben … vor dem Tod! Diese Erkenntnis, die Laibach einst in martialisch-düsterem Deutsch-Bombast mit hartem Akzent und Pauken und Trompeten rausposaunten, als gäb’s kein morgen, wäre jetzt zum Beispiel für Kinder gar keine. Kinder wissen das instinktiv, Kinder fühlen das. Kinder leben einfach. Mit all den kleinen und großen Freuden und Dramen und Fragen und Musicals, die so ein Leben so mitbringt. Freestyle. Es gibt ein Lebben. Es gibt ein Lebben. Es gibt ein Lebben … vor dem Tod! In Zeiten von Corona für Pubertierende, Halbstarke und Erwachsene durchaus eine Erkenntnis, die es wiederzuentdecken gilt nach all den realen und gefühlten Lockdowns, nach all der selbst gewählten und verordneten Quarantäne und Isolation, nach all dem Abstand mit Maske zu Live und in Farbe und Bunt und Mitmenschen, nach all der Reserviertheit gegenüber Viren und kollektiven Exzessen und all der Nähe, die das Leben lebendig macht. Es gibt ein Lebben. Es gibt ein Lebben. Es gibt ein Lebben … vor dem Tod! Um es statt mit Laibach mit dem großen Fußball-Philosophen Dragoslav „Steppi“ Stepanovic zu sagen: „Lebbe gehd weider!“ Oder wie es ein noch größerer Fußball-Philosoph wie Kaiser Franz noch treffender auf den Punkt brächte: „Gehts raus und spielts!“ In der Hörbucht…

Björn Simon

Laibach

Wir sind das Volk – ein Musical aus Deutschland

Mute / PIAS (VÖ: 25.3.)

4 Sterne

Wer oder was ist es denn nun – das Volk? Diejenigen, die möglichst lautstark für sich reklamieren, es zu sein, oder ganz andere? Will man es überhaupt sein? Braucht der Mensch zur Selbstvergewisserung ein Volk oder kann das weg? Als vor zwei Jahren am Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) der als Musical apostrophierte Abend Wir sind das Volk Premiere feierte, war Kontroverses garantiert: Die slowenische Gruppe Laibach, berüchtigt für ihr Spiel mit totalitären Symbolen und Inszenierungen, hatte dafür Texte von Heiner Müller vertont. Eine passende Wahl, verbindet Laibach mit dem Dramatiker doch ein ähnlicher Ansatz, bestehendes Material zu bearbeiten und in Neues zu verwandeln. Und auch für Heiner Müller war der Begriff Volk, die Frage nach Gemeinschaft und Ausgrenzung, ein lebenslanges Thema; unvergessen sein Bonmot: „Natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf Deutsche.“

Die jetzt in Albumform erscheinenden Ausschnitte aus dem Theaterabend haben keinerlei stringente Handlung, es ist eine mit Musik unterlegte Collage aus ausführlichen Prosatexten, poetischen Beschreibungen und Reflexionen, in denen unter anderem Lessing, Brecht und Hans Albers Platz finden. Dazwischen stehen immer wieder markante, einfache Sätze, häufig in bedeutungsschwerem Raunen dargeboten. „Ich bin der Engel der Verzweiflung.“ „Mein Hass gehört mir.“ „Ich bin die Wunde.“ Die Gefahr, in leeres Pathos abzugleiten, die bei Laibach häufig latent lauert – Pathos ist schließlich ihr Kerngeschäft – wird oft vom Kontext der Worte Müllers neutralisiert. Bestes Beispiel ist der mit einer an Herman van Veen erinnernden Emphase ständig wiederholt gesungene und zuletzt von einem Chor aufgegriffene Satz „Ich will ein Deutscher sein“. Was in der Übertreibung zunächst ironische Distanz vermuten lässt, wird beklemmend, wenn man erfährt, dass Müller das Zitat den Unterlagen eines im Warschauer Ghetto getöteten elfjährigen Jungen entnommen hat.

Das Album hat einen ungewöhnlichen Spannungsbogen, der von der Musik zum Wort führt. Laibachs maschinenhaft stampfende Rhythmen, die bisweilen an Bombeneinschläge erinnern, und die Unheil verheißenden Klänge lassen den Texten im Verlauf der Aufnahme immer mehr Raum. Bedrückend ist die nüchterne Lesung aus Müllers Erinnerungen an seine Kindheit im Krieg, die Verhaftung des Vaters durch die SA und seine spätere Rückkehr nach Entlassung aus dem KZ. Atmosphärisches Gegenstück und dennoch ebenso eindringlich ist die Rezitation des Prosatexts „Herakles 2 oder die Hydra“, die sich in einen theatralischen Furor steigert, dem man sich nicht entziehen kann. Ganz ohne musikalische Begleitung wendet sich schließlich der slowenische Philosoph Peter Mlakar aus dem Laibach-Umfeld mit einem Schlusswort direkt an das Publikum, das „liebe deutsche Volk“, und spricht ihm das Misstrauen aus. „Wir sind das Volk nur durch Liebe“, ist der Track betitelt. Schön wär’s.

Guido Diesing

Werner Herzog

Vom Gehen im Eis

tacheles! / Roof Music

4 Sterne

Am 23. November 1974 beschließt der deutsche Filmregisseur Werner Herzog, zu Fuß von München nach Paris aufzubrechen, um die dort lebende Filmhistorikerin Lotte Eisner zu besuchen. Der Grund für dieses seltsame Vorhaben ist eine schwere Erkrankung Eisners – Herzog versucht tatsächlich, in einer Art magischer Beschwörung, durch diesen Fußmarsch ihren Tod aufzuhalten (es gelingt übrigens, tatsächlich stirbt Lotte Eisner, siebenundachtzigjährig, erst neun Jahre später).

Herzog ist damals 32 Jahre alt und eigentlich körperlich fit, doch die drei Wochen Fußmarsch werden für ihn zu einer nicht nur körperlichen Herausforderung. Erschöpfungszustände, eine entzündete Achillessehne und vor allem das widrige Wetter – Herzog hat mit Schnee und Eis zu kämpfen – machen ihm zu schaffen, dazu ist ihm natürlich bewusst, dass sein Unterfangen eigentlich sinnlos ist. Unterwegs führt er ein Tagebuch, das später veröffentlicht wird, Jahrzehnte später liest er diesen Text ein.

Es ist seine einfache, manchmal fast naive Sprache, die einem die eigentlich unspektakulären Ereignisse auf diesem Weg nahekommen lassen. Viele Menschen, die Herzog unterwegs trifft, begegnen ihm freundlich, viele aber auch mit Misstrauen – ein Mensch, der zu Fuß unterwegs ist, wirkt schon damals etwas esoterisch. Neben den Landschaften, durch die er geht und die er beschreibt, geht es auch um die inneren Landschaften, über die er nachdenkt, und das Vertrautwerden mit dem eigenen Land – das Ende des Nationalsozialismus, vor dem Lotte Eisner nach Frankreich geflohen ist, liegt ja erst knapp dreißig Jahre zurück.

Man folgt dem Vortrag Herzogs voller Spannung und drückt ihm die Daumen, dass er in Paris ankommt. Sein Gang durch einsame Landschaften lässt einen dabei manchmal fast vergessen, dass er sich mitten in Europa befindet. Als er Lotte Eisner dann tatsächlich antrifft, stellt die ihm einen zweiten Sessel hin, damit er seine schmerzenden Füße hochlegen kann. „Lieber die Sinnlosigkeit, wenn es eine ist, bis zur Neige gekostet“, hat Herzog kurz vorher, als er beinahe aufgeben wollte, noch notiert.

Rolf Thomas