HÖRBUCHT

TATORTE UND TUWORTE

Aborte. Jaja, auch das Klo kann ein Tatort sein, natürlich. Das Schlafzimmer. Die Küche, der Garten. Kommt immer drauf an, was man tut oder nicht lassen kann. Muss ja auch nix mit Verbrechen zu tun haben, so ein Tatort. Auch wenn für manche schon eine Inneneinrichtung ein Verbrechen sein mag, jedenfalls die vermeintlich falsche. Gelsenkirchener Barock. Oder Freejazz. Ebenfalls für einige kriminell, ebenfalls Geschmackssache. Rein subjektiv, oder? Alles kann, nix muss. Swingerclubweisheiten, gelassen ausgesprochen. Tolerant bis zum Anschlag. Körperwelten voller Gänsehaut. Kann man in einem Liebesrondell jemanden um die Ecke bringen? Mörder*innen verlieren nicht selten jede Toleranz, lang- und sehr kurzfristig, nicht selten sehr zur Überraschung ihrer Opfer. Und dann liegen die da. Hingestreckt von der Schwerkraft. Und von der Todesursache natürlich. Unnatürlich natürlich, sonst wäre es ja kein Mord und das Flatterband weit weg. Auch die Spusi hätte einen freien Tag, Forensiker*innen könnten Blumen pflanzen, Thiel mit Börne Schach spielen, und auch Quincy und Columbo könnten sich ihren Tatort selbst aussuchen und einfach mal den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Und alle Fünfe gerade. Columbo am Strand? Gott bewahre. Manche Erwartungen wollen wir einfach nicht unterlaufen wissen, nicht mal mit Zigarre und in Badeshorts. Und dann beharren wir drauf, dass Tatorte Tatorte sind und Tuworte eben Verben. Und Freejazz und Jugend kein Verbrechen, aber Maden eklig und Selbstoptimierungszwänge doof, doof, doof. In der Hörbucht…

Björn Simon

Mark Benecke

Kat Menschiks und des Diplombiologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes illustrirtes Thierleben

tacheles! / Roof

4 Sterne

Der schwer tätowierte Kriminalbiologe und Forensiker Mark Benecke ist seit Jahren ein gefragter Gast in allerlei Fernseh-Talkshows, denn er steht für den gepflegten Grusel, wenn er sich über Verwesung – und welche Rollen Maden dabei spielen – auslässt. Eigentlich jedoch hat er Biologie, Zoologie und Psychologie in Köln studiert, und seine Liebe zu allem, was da kreucht und fleucht, bricht sich nun in diesem Hörbuch Bahn – zuerst ist das Ding natürlich als illustrierter Bildband erschienen, die herrlichen Illustrationen von Kat Menschik beschränken sich beim Hörbuch naturgemäß auf Cover und Booklet.

Benecke liebt also Tiere – allerdings platonisch, essen tut er sie nicht –, und diese Begeisterung weiß er mit allerlei Anekdoten und Geschichtchen auch wissenschaftlich zu begründen, vor allem interessiert er sich aber für die Verhaltensweisen der Tiere. Dass Vampirfledermäuse behandelt werden, scheint ins Bild zu passen, denn Benecke hat schon eine gewisse Gruftie-Ausstrahlung. Der Ekelfaktor steht bei dieser Unternehmung allerdings nicht im Vordergrund, wenn auch Schinkenkäfer vorkommen, die man in menschlichen Leichen entdecken kann. Es geht auch um ganz „normale“ Tiere wie Stare, Glühwürmchen oder Rentiere – dabei zitiert Benecke aus teils jahrhundertealten Biologie-Büchern, die er voller Hochachtung gelesen hat, und vergleicht deren Erkenntnisse mit denen der aktuellen Forschung.

Dabei können sich die Hörer von so mancher liebgewonnenen Vorstellung verabschieden – der Hund zum Beispiel guckt gar nicht schuldbewusst, wenn er die Wurst vom Teller gemopst hat: Hunde gucken nur von unten nach oben, weil sie gelernt haben, dass ihr Herrchen oder Frauchen dann Milde walten lässt. Beim Kapitel über Hunde kann Benecke es dann doch nicht lassen, über die Tatsache zu plaudern, dass die beim Tod ihres Besitzers nach kurzer Zeit anfangen, Teile der Leiche zu verzehren: Er lässt allerdings ein wenig Nachsicht walten, denn ursprünglich lecken die Tiere ihren vermeintlich schlafenden Besitzern das Gesicht, um sie zu wecken, bevor sie anfangen, daran zu knabbern. Ein Verhalten, das übrigens auch schon bei Goldhamstern festgestellt wurde.

Rolf Thomas

Sophie Passmann

Komplett Gänsehaut

tacheles! / Roof

3,5 Sterne

Die Autorin Sophie Passmann ist 27 geworden und nimmt das zum Anlass, einmal kräftig gegen sich selbst und ihre Generation auszuteilen. Das hat schon allein deshalb etwas Erfrischendes, weil Passmann witzig und detailscharf schreiben und ihre Erkenntnisse zügig und schnell vortragen kann. Selbstkritik ist meistens nicht besonders angesagt, und auch Passmann hat in der Vergangenheit viel Erfolg damit gehabt, Alte weiße Männer (Buchtitel) durchaus differenziert, aber natürlich scharfzüngig zu kritisieren.

Jetzt stellt sie fest, dass sie eigentlich erwachsen werden müsste, und handelt all die Schlagworte ab – „Body Positivity“ und „Schlafhygiene“ sind einige davon, aber auch der Hörbuchtitel ist natürlich eine beliebte Phrase –, die damit einhergehen. Passmann kann sich ziemlich ausführlich darüber auslassen, wie man sein Wohnzimmer eingerichtet hat, in welchem Stadtviertel man warum wohnt – eine gewisse Berlin-Zentriertheit kann man Komplett Gänsehaut nicht absprechen – und was man alles so essen, trinken, lesen, gucken und hören muss. Plötzlich interessiert man sich für Küchenutensilien aus Emaille, heißt es an einer Stelle, und Passmann fragt sich, ob das zum Erwachsenwerden dazugehört, eine kleinbürgerliche Marotte ist oder einfach nur der Anfang der Verspießerung.

Das ist manchmal durchaus etwas banal, und Passmann entgeht dieser Falle nur, weil sie dann doch schnell genug das Thema wechselt und sich wieder anderen Gegenständen zuwendet. Es gibt aber sicher auch viele Leute in ihrer Generation, die nicht ewig über jeden Gegenstand in ihrem Wohnzimmer nachdenken und ihre Weltanschauung an der Einrichtung festmachen.

Andere Generationen, etwa die 68er mit ihrem Jugendwahn, kommen allerdings auch nicht besser weg. Allein die Idee, Leute zu vergöttern, nur weil sie mit 27 gestorben sind – der berühmte „Club 27“ wurde bekanntlich von Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison gegründet –, hält sie für gnadenlos überschätzt. Deshalb kann Passmann ihrer jetzigen Lebensphase auch etwas Positives abgewinnen: „Die ganze Jugend ergibt erst Sinn, wenn man lang genug durchhält, um sie hinter sich gebracht zu haben.“

Rolf Thomas