jazzahead!

Bremen

© M3B GmbH Jan Rathke

Von York Schäfer

In einer Halle dieser Größenordnung dürften in jüngster Zeit die wenigsten Jazz-Musiker gespielt haben. Bis zuletzt hatten die Veranstalter der diesjährigen jazzahead! auf Publikum gehofft und entsprechend großräumig geplant. Da aber Planungssicherheit in pandemischen Zeiten nicht wirklich gegeben ist, mussten die Showcase-Konzerte der 15. Ausgabe des Festivals in den menschenleeren Weiten der Bremer ÖVB-Arena stattfinden. Dort, wo sonst Musik der Hausnummern AC/DC oder André Rieu die Massen anlockt.

Close together from afar“ lautete das Motto der digitalen jazzahead! 2021, aber immerhin 14 Konzerte konnten live stattfinden – wenn auch ohne echte Live-Atmosphäre. Improvisation und die ständige Anpassung an neue Gegebenheiten waren während der gesamten Festivalvorbereitung gefragt, was ja aber letztlich auch wesentliche Elemente des Jazz sind. „Jazz bedeutet Unvorhersehbarkeit, und die jazzahead! entdeckt mit dieser Pandemie-Ausgabe ihre ureigene Essenz“, brachte es Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte zur Eröffnung auf den Punkt.

Das Eröffnungskonzert des Kölner Trompeters Markus Stockhausen mit seinem Quartett passte dann erstaunlich gut in die opulente Halle mit der entrückten Atmosphäre eines überdimensionierten Privatkonzerts. Markus Stockhausen, Sohn des großen Komponisten Karlheinz Stockhausen, spielt behutsam mit elektronischen Elementen und arbeitet mit viel Hall auf seiner Trompete. Ein zumeist elegischer Breitwand-Sound, der sich die Weite des Raumes erschließt. Eine Ballade trägt den derzeit wohl programmatischen Titel „There’s Always Hope“, die Trompete singt melodisch. Leicht kitschig zwar, aber auch anmutig – vielleicht genau das, was man grade braucht. Man klatscht ins Leere. 

Klar dass die Konzerte des Partnerlandes Kanada erneut auf 2022 verschoben wurden. Und so lässt die Pandemie die Stunde der im weiteren Sinne nationalen Szenen schlagen. Heidi Bayer, ebenfalls aus Köln, ebenfalls Trompeterin, holte ihr bei der jazzahead! 2020 ausgefallenes Konzert mit ihrem Quartett Virtual Leak nach. Bayer und Band spielen kontrastreiche Musik zwischen Struktur und Freiheit, während der Saxofonist Tobias Meinhart, in Berlin und New York zu Hause, klassischen, an Wayne Shooter geschulten Hard Bop präsentiert. The True Harry Nulz firmieren zwar als deutsche Band, kommen aber aus Österreich und der Schweiz. Das junge Septett um die Bassklarinettisten Siegmar Brecher und Nils Fischer arbeitet im Spannungsfeld von Postrock und Jazz. Musik, die von der Erhabenheit der Bläser, dem Druck der zwei Drummer, den Kontrasten zwischen Verzerrung und Transparenz lebt.

Und was passierte in den Weiten des virtuellen Raumes, dem Hauptaustragungsort der digitalen jazzahead!? Naheliegend, dass die Anzahl der Teilnehmer*innen in Sessions und Panels weit über die Zahlen der Vorjahre hinausgegangen sei, wie die Veranstalter der Messe Bremen mitteilten. Auch die meisten exklusiv für die jazzahead! aufgezeichneten Konzerte fanden als Stream für das registrierte Fachpublikum statt. Freien Zugriff gibt es ab dem 21. Juni. Die jazzahead! war eben schon immer mehr Fachmesse als Publikumsfestival.

Den internationalen Acts konnte man über die digitale Plattform talque beiwohnen, die ein bisschen wie bei einer Dating-Seite ein genaueres Netzwerken ermöglichen sollte. Der israelische Pianist und Gitarrist Ron Minis zum Beispiel hauchte dem klassischen Jazzpiano-Trio neue Kraft ein, das Solo-Konzert der brasilianischen Sängerin und Gitarristin Badi Assad war von virtuoser lebensfreudiger Eleganz. Die virtuelle Show von Tin Men and the Telephone, die per Zoom aus dem Amsterdamer Studio der Band live übertragen wurde und für die man auch Tickets kaufen konnte, stand exemplarisch für den Geist der diesjährigen jazzahead!. Das Trio experimentiert seit vielen Jahren mit interaktiven Spiel- und Auftrittsformen. Das medial gewiefte Publikum speist mithilfe der Live-App Tinmendo Beats und Melodiesprengsel ein, zu denen das Trio improvisiert. 

Aber auch wenn seherische Bands wie die Niederländer aus innerer Überzeugung und nicht nur aus Notwendigkeit auf virtuelle Formate setzen, spielen auch sie am liebsten immer noch in einem Saal mit Publikum.