In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Nik Bärtsch

Entendre

ECM / Universal

4,5 Sterne

Er ist vor allem als Leiter der Bands Mobile und Ronin bekannt, der Schweizer Pianist, Komponist und Konzeptualist Nik Bärtsch. Nun erscheint bei ECM sein erstes Solo-Album, das er parallel zur Arbeit mit seinen Gruppen entwickelt hat. Der Titel Entendre (Hören) ist Programm, denn die weitestgehend ruhige Platte ist geprägt von dem genauen Hören und langsamen organischen Prozessen in der Entwicklung des Klangs. Die sechs Tracks bezeichnet er fast alle nur als „Module“, da er diese nicht als gesetzte Stücke, sondern vielmehr als Schablonen versteht. In seinen Stücken verbindet Bärtsch klassische Traditionen und Minimal Music mit dem Groove des Jazz. Letzterer verleiht den Werken auch bei großer Ruhe immer auch etwas Fließendes, so beispielsweise in „Modul 26“. Besonders facettenreich wird Bärtschs Solo-Platte durch seinen gut durchdachten und sehr feinsinnigen Anschlag wie auch die Elemente eines präparierten Klaviers, wie es beispielsweise in „Modul 5“ erklingt. Eindrucksvoll ist hier zu hören, wie sehr Bärtsch es versteht, durch seinen Anschlag die verschiedensten Facetten aus ein und demselben Ton (zumindest zunächst) herauszuholen. Es scheint, als wäre es dem Pianisten bei dieser Aufnahme in idealer Atmosphäre (mit Manfred Eichner in einem Studio in Lugano) gelungen, alle Vorsätze und Erwartungen hinter sich zu lassen und der Musik die Chance zu lassen, sich ganz in Ruhe und organisch zu entwickeln. Das überträgt sich auch auf den Hörer und macht die CD zu einem Hörgenuss.

Verena Düren

Théo Ceccaldi Trio

Django

Full Rhizome / Broken Silence

5 Sterne

Nahezu alles, was die Ceccaldis (Gitarrist Guillaume Aknine wird hier brüderlich in die Familie aufgenommen) anfassen, gerät ungemein kreativ, und so steckt auch Django wieder voller Überraschungen. „Balancelle et Chèvrefeuille“ zerlegt die Manouche-Ästhetik und konfrontiert „Minor Swing“ mit Minimal Music. „Le cou du Dragon“ verarbeitet Josef Myrows Klassiker „Blue Drag“ zu einem spacigen Trip in all die Welten, die sich auftun, wenn Saiten-Instrumentalisten alle Register ziehen. Da kommt alles zum Tragen, was diese Idealbesetzung unter den Händen von Musikern solchen Formates hergibt. „Manoir de mes réves“ mäandert romantisch und wabert dennoch ungeduldig. An Valentin Ceccaldi fasziniert einmal mehr die Fähigkeit, dem Cello Ostinato-, Twobeat-, Walking Bass-, Groove-, und Powerchord-Funktion zuzuweisen und dazu überraschend klangliche Feuer auf vier Saiten zu entfachen. „Nin-Nin je t’aime“ lädt zu einem wunderbar ruhigen 7-minütigen Spaziergang durch Raum und Zeit. Darauf folgt mit „Acétone Charleston“ eine herrlich collagierte Suite voll genialem Humor und Tempo-Spielereien auf schrägen Nebenschauplätzen. Im Vorbeigehen erleichtern die drei Musiker den „französischen Jazz“ unterwegs mal kurz von der Last der eigenen Tradition. Mit Chapeau vor der Vergangenheit, ihren Klischees und möglichen Auslegungen in die Zukunft. Großartig, wie sich Aknine inmitten des akustischen Kontextes von „Six pouces sous mer“ an den Verzerrer traut und dann in „Brûle Roulotte“ gemeinsam mit Théos Violine Erinnerungen an Django Reinhardts tragischen Unfall im Wohnwagen heraufbeschwört.

Jan Kobrzinowski

Stefano di Battista

Morricone Stories

Warner

4,5 Sterne

Wenn es jemanden gab, der mit Tönen zu malen verstand, dann war es Ennio Morricone. Keiner hat so radikal filmisch gedacht wie der im vergangenen Jahr verstorbene Großmeister der Kinomusik. Insofern zeugt es schon von einem gewissen Wagemut, sich Morricones Œuvre zu nähern, insbesondere als Jazzer: Immerhin sind die Werke bis auf den letzten Akzent durchdacht, jeder Ton besitzt seine feste Funktion und Position. Hier zu improvisieren, hieße, das Genie zu dekonstruieren. Doch genau das versuchen Saxofonist Stefano di Battista sowie seine Bandkollegen Fred Nardin (p), Daniele Sorrentino (b) und Andre Ceccarelli (dr) auf dem neuen Album Morricone Storiesund treffen damit erstaunlicherweise fast immer ins Schwarze. Mit überaus sensiblem Spiel legt di Battista die zentralen Motive in Morricones Kompositionen frei und umgarnt sie mit geschickten Soli, die neue Wege beschreiten, ohne sich zu weit von ihrem Ursprung zu entfernen. Dabei mag es helfen, dass der 52-Jährige weitgehend auf die berühmtesten Melodien verzichtet hat und stattdessen tief im Repertoire des Maestros gegraben hat, um Raritäten wie „Verushka“ oder das Titelthema aus Cosa Avete Fatto a Solange ans Licht zu bringen. Eine gute Entscheidung, entsteht so doch wenigstens kein Konflikt mit dem kollektiven Gedächtnis unzähliger Cineasten. Dagegen wirken der Swing bei Gabriel’s Oboe“ und noch schlimmer bei The Good, the Bad and the Ugly“ wie Fremdkörper. Den Segen Morricones scheint di Battista dennoch zu haben, hat dieser ihm doch immerhin das bislang unveröffentlichte „Flora“ geschenkt und die Morricone Stories somit um eine Weltpremiere bereichert.

Thomas Kölsch