HÖRBUCHT
VERDICHTET
Nicht lang schnacken. Luft raus aus den Zeilen. Lasst Hörbücher sprechen.
In der Hörbucht…
Björn Simon
Nick Hornby
Dickens und Prince – unvergleichliche Genies
Argon Hörbuch
3,5 Sterne
Es hätte wohl so einige Kombinationen von Künstlern gegeben, bei denen offensichtliche Gemeinsamkeiten einen Vergleich nahegelegt hätten – Nick Hornby wollte es anders. In seinem neuen Buch versucht er, ein Odd Couple als gar nicht so odd darzustellen: Dickens und Prince. Ja, genau: der Schriftsteller und Schöpfer von David Copperfield und A Christmas Carol aus dem viktorianischen England auf der einen Seite und auf der anderen der 2016 gestorbene Sänger aus Minneapolis, Multiinstrumentalist und Schöpfer von „Kiss“, Sign o‘ the Times und Lovesexy. Ein Unterfangen, dessen Verwegenheit sich Hornby nur zu bewusst ist. Von Anfang an steht er dazu, dass seine Wahl komplett subjektiv, deshalb aber keineswegs angreifbar ist. Er wendet sich einfach direkt an diejenigen Leser, die seine Themenwahl anzweifeln mögen: „Dann müssen Sie eben Ihr eigenes Buch schreiben!“
Seine beiden Titelhelden eint genau das: dass sie für ihn Helden sind, Künstler, die ihn beeinflusst haben und die zu denen gehören, die er „meine Leute“ nennt. In der Folge erzählt er kenntnis- und lehrreich parallel ihre Biografien, immer auf der Suche nach mehr oder weniger naheliegenden Entsprechungen und Ähnlichkeiten, beschreibt ihre Armutserfahrungen in der Kindheit, ihre spätere Rastlosigkeit und Produktivität und ihre Absage an Perfektionismus. Beide fühlten sich trotz ihres Erfolges ungerecht behandelt und wehrten sich mit großem, aber kräfteraubendem Engagement dagegen – Dickens gegen Plagiatoren, Prince gegen Plattenfirmen. Das ist durchaus interessant, nimmt bisweilen aber auch kuriose Züge an, wenn Hornby etwa nach Gemeinsamkeiten zwischen Oliver Twist und Purple Rain sucht. Doch es rettet ihn immer wieder, dass er sich der Dreistigkeit seines Vorgehens bewusst ist und dies thematisiert.
Da Hornby aus seiner subjektiven Fanperspektive schreibt, erfährt man auch viel über ihn selbst, seine Ansichten zu Fragen der Kreativität oder zum Selbstverständnis als Kulturschaffender. Und wie man es von ihm kennt, lässt er selten eine Gelegenheit aus, in langen Aufzählungen sein popkulturelles Wissen auszubreiten, was manchmal etwas ermüdend ist. Doch meist hilft sein kurzweiliger Plauderton auch über Längen hinweg. Die vierstündige Hörbuchfassung leidet ein wenig darunter, dass Comedian Thomas Nicolai den Text zwar mit angenehmer Stimme und sprechtechnisch präzise vorträgt, dabei aber oft wirkt, als würde er ihm nicht recht vertrauen. Dann verfällt er in einen betont originellen, etwas affektiert wirkenden Tonfall, wo es auch Understatement getan hätte.
Am Ende bleibt das, was auf den ersten Blick wie ein absurder Versuch wirkt, verschiedene Welten auf einen Nenner zu bringen, auch auf den zweiten Blick genau das. Die deutsche Übersetzung des Untertitels A Particular Kind of Genius als Unvergleichliche Genies kommt da ungewollt der Wahrheit recht nah. Wirklich vergleichbar sind die beiden Protagonisten dann doch nicht. Was das Buch in seiner Kuriosität und Versponnenheit aber eher noch amüsanter macht.
Guido Diesing
Noch wach?
Argon Hörbuch
4 Sterne
„Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte. Daher erhebt der Roman keinen Anspruch, Geschehnisse und Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen authentisch wiederzugeben.“ Bereits der sarkastische Tonfall, mit dem Stuckrad-Barre das Kontrafaktische seines vorangestellten Dementis in den Ohren klingeln lässt, signalisiert: Hier geht’s ans Eingemachte. Noch wach?, flankiert von einer beispiellosen PR-Kampagne direkt nach Erscheinen an die Spitze der Bestsellerlisten geschossen, erzählt von Machtmissbrauch in einem Berliner Fernsehsender und war schon im Vorfeld, vom Autor selbstredend ebenso bestritten, als „Schlüsselroman“ lanciert worden. Tatsächlich bedarf es keiner aufwendigen Detektivarbeit, um in den Figuren der zentralen Männerfreundschaft zwischen dem namenlosen Ich-Erzähler und dem CEO des Senders Stuckrad-Barre und Mathias Döpfner, den Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlags zu erkennen. Das Compliance-Verfahren gegen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt, das im Oktober 2021 letztlich doch zu seiner Entlassung führte, war einer der ersten #MeToo-Fälle in Deutschland, die großes mediales Interesse erfuhren. In Gang gekommen waren die Untersuchungen, weil der seinerzeit bei Springer beschäftigte Stuckrad-Barre der Konzernleitung von Verfehlungen Reichelts gegenüber Mitarbeiterinnen berichtete. Diese „Vertrauenslehrer“-Rolle im monatelangen Schlingerkurs bis zur Entlassung Reichelts ist in Noch wach? – der Titel zitiert eine der „notgeilen SMS“, mit denen der Chefredakteur des „als Nachrichtenkanal getarnten Brüllsenders“ junge Journalistinnen nach Dienstschluss seine Aufmerksamkeit zu versichern pflegte – ebenso Thema wie das Zerbrechen der Freundschaft zum mächtigen Senderchef. Nachdem in einer Vielzahl von Fällen das Muster systematischen Machtmissbrauchs erkennbar wurde, bringt dessen Textnachricht „Wir brauchen mehr Frauen“ das Fass zum Überlaufen. Der darin enthaltene Vorwurf hat indes auch Stuckrad-Barre selbst getroffen: Vielfach wurde, vor allem von Rezensentinnen, bemängelt, dass Frauen in Noch wach? kaum zu Wort kommen. Mehr noch: Dass weder der Perspektive der „Belastungszeuginnen“ (um den Begriff „Opfer“ zu umgehen – auf Diskussionen über solcherart sprachlicher Differenzierung, die auch manch groteske Pointe abwirft, liegt hier einiges Augenmerk) noch die der Täter hinreichend beleuchtet werde, war in einer Besprechung zu lesen. Ganz stimmt das nicht: Der TV-Redakteurin Sophia, die sich dem dieselbe Selbsthilfegruppe für Suchtmittelabhängige besuchenden Erzähler anvertraut, gelten nicht nur größere Passagen der Erzählung, sie ist als weibliche Hauptfigur auch deren Motor. Dass Stuckrad-Barre den Status der Beziehung Sophias zum Erzähler bis zum Schluss in der Schwebe hält, ist nicht die geringste Kunstfertigkeit eines Buchs, das um toxische Männlichkeit und sexuelle Ausbeutung beruflicher Abhängigkeitsverhältnisse kreist. Umgekehrt lässt der 48-Jährige, auch wenn er stets als Anwalt der Frauen auftritt, hin und wieder ein Quäntchen Selbstkritik aufblitzen. Die Stärken seines „(Un-)Sittengemäldes“, darauf zumindest konnte sich das Feuilleton einigen, liegen in der Zuspitzung der Satire, wenn es darum geht, aus jeweils spezifischen Idiomen – Journalistenjargon, Investorenblendgranatengedonner, Therapiesitzungsgeschwurbel, Juristenphrasen – parodistische Funken zu schlagen. Zwar profitiert Noch wach? auch von Stuckrad-Barres ausgeprägtem journalistischem Gespür für den Scoop, vergisst aber nicht, Literatur daraus zu machen. Einer der besten Aspekte daran ist, dass es sich zwar um autofiktionale Popliteratur handelt, die aber, anstatt im Liegestuhl am Pool des mondänen Chateau Marmont in Los Angeles abzuhängen – was Stuckrad-Barre als Gegenbild zum Berliner Schmuddelsender- und –wetteralltag einführt –, einem dort von Rose McGowan, einer der ersten Zeuginnen im Fall Harvey Weinstein, erhaltenen Auftrag nachgeht. Ein Popliterat, der sich nützlich macht – es gibt wohl Schlimmeres.
Harry Schmidt