JazzBaltica

Timmendorfer Strand

Nesrine © Jacek Brun

Von Angela Ballhorn. Oft sind es die kleinen Dinge und unerwarteten Momente, nicht automatisch die bekannten Namen, die einen staunen lassen. So geschehen beim diesjährigen, von Nils Landgren kuratierten JazzBaltica-Festival, dem der Wettergott gnädig war und das komplette Open-Air- und @the-Beach-Programm möglich machte.

Die polnische Pianistin Joanna Duda, die einen unfassbaren Gig zu später Stunde spielte, gehörte definitiv dazu. Die junge Musikerin hebt die Formation Klaviertrio auf ein neues Niveau – mit Elementen aus Minimal Music, klassischer Musik, Techno und mit klugem Einsatz von Elektronik spielte sie ein so spannendes Konzert, dass die Zuschauer*innen das Trio erst nach mehreren Zugaben und dem Hinweis gehen ließen, dass sie um vier Uhr am Flughafen in Richtung New York sein mussten. Ebenfalls im Jazzcafé spielte die norwegische Trompeterin Hildegunn Øiseth einen Sonntagmorgen-Gig, bei dem man Stecknadeln hätte fallen hören. So oft die sympathische Musikerin, die auch Kuhhorn spielt, hier schon in Ensembles zu erleben war – ihr Auftritt mit eigener Band und Musik zeigte neue Facetten und einen Drummer, der ein unglaubliches Solo auf der singenden Säge hinlegte.

Ihr Landsmann Nils Petter Molvær konnte das 25-jährige Jubiläum seines Albums Khmer feiern. Aufgüssen sehe ich skeptisch entgegen, doch hier wurden die Erwartungen übertroffen. Die Band in Originalbesetzung – wenn auch die Lufthansa verhinderte, dass der Trompeter seine Elektronik mitbringen konnte – klang frisch, unverbraucht und mitreißend. Ein Festival-Schwerpunkt waren Bassisten-Konzerte. Martin Wind konnte sein Gravity Trio mit dem unfassbaren Philip Catherine bereichern. Mittlerweile 80 Jahre alt, hat der Gitarrist nichts von seinem Spielwitz verloren und war auch sonst als Spaßvogel unterwegs, der sich über die Gebrechen des Alters amüsierte. Dieter Ilg präsentierte seine Ravel-Bearbeitungen, die im Trio mit Rainer Böhm (p) und Patrice Héral (dr) organisch und dynamisch ausgefeilt klangen.

Nur ein Konzert entfernt vom Mutterschutz vor dem zweiten Kind präsentierte sich die spanische Trompeterin Andrea Motis quirlig, aber musikalisch schwer einzuordnen. Mit dem Tingvall Trio, Benny Lackners Klaviertrio mit Mathias Eick und Karin Hammars Band mit Rita Marcotulli zeigte sich die Vielfalt im europäischen Jazz.

Gunther Baby Somme © Jacek Brun

Amerikanisch war dagegen die Funk-Night mit Fred Wesley besetzt, auch hier konnten die alten Herren zeigen, dass sie es noch draufhaben. Wesley, Posaunist der JB Horns, ist mittlerweile 80 Jahre alt, doch in Sachen Groove macht ihm keiner etwas vor. Der krönende Abschluss gehörte ebenfalls einem Musiker, der im Sommer seinen 80. Geburtstag feierte: Spontan, frei und befreiend zu hören war Günter Baby Sommers Großformation Brotherhood & Sisterhood – hier passte wirklich alles! Den leisen Avslut spielte schließlich die junge estnische Pianistin Britta Virves mit ansprechenden Kompositionen und einem gut interagierenden Trio. 18.000 Fans bei 39 Konzerten belegten die Beliebtheit des Festivals an der Ostsee.