HÖRBUCHT

SOMMERSWIEWINTERS

Herr: Es ist Klimawandel. Der Sommer war sehr lang.

Leg deinen Mantel auf die Sonnenuhr,

und auf den Fluren lass den Winter ran.

Befiehl den letzten Gletschern, cool zu sein;

gib ihnen noch zwei arschkalte Tage,

dränge sie zum Nordpol hin und jage

die letzten Pinguine Richtung Süden heim.

Wer jetzt kein Iglu hat, der baut sich keines mehr.

Wem jetzt zu warm ist, der wird noch lange leiden,

wird jammern, schwitzen und „Last Christmas“ meiden,

wird auf den Weihnachtsmärkten hin und her

im T-Shirt wandeln, wenn die Gase treiben.

In der Hörbucht

Björn Simon (frei nach Rainer Maria Rilke)

Roger Willemsen

Musik!

Tacheles! / Roof Music

4 Sterne

Wie kein anderer konnte Roger Willemsen über Jazz erzählen und für diese Musik begeistern. Als er 2016 starb, hinterließ er eine Lücke. So vieles hätte es noch zu sagen gegeben. „Musik!“ versucht diese Lücke zumindest teilweise zu schließen. Der eine Teil dieser CD ist eine Wiederveröffentlichung des Albums „My Favourite Things – Singers“, in dem Roger Willemsen anhand von dreizehn Musiktiteln seine teils unbekannten Lieblings-JazzsängerInnen vorstellt. „Ruhe tritt ein, bevor der erste Ton gespielt wird, und der letzte liefert sich ihr wieder aus. Stille ist der Zustand, in dem Musik geboren wird“, liest Matthias Brandt aus den Texten von Willemsen und führt so in das Thema der ersten CD ein.

Andererseits gibt es nun einmal Allergien, manchmal schon alleine gegen einen Sound oder gegen eine fortgesetzte rhythmische harmonische Unterforderung, die aus der Musik Tapete macht. Und in die versenkt man sich schließlich auch nicht“, heißt es im zweiten Einführungstext „An die Musik.“ Im weiteren Verlauf der CD nimmt uns Willemsen mit auf eine Reise durch acht Musikstücke von Art Tatum bis Charlie Haden, um die Stille im Jazz zu erforschen.

Man kann natürlich sagen, dass gute Musik immer für sich spricht – und dass über Musik zu reden ist, wie über Architektur zu tanzen. Man kann aber auch Roger Willemsens Betrachtungen auf diesen beiden CDs folgen, dadurch die Musik aus neuen Perspektiven betrachten und sich von der Begeisterung anstecken lassen. In diesem Sinne sind die Texte weitausmehr als Lückenfüller oder bloße Überleitungen. Im Zusammenspiel mit der Musik schaffen sie ein eigenes literarisch-musikalisches Kunstwerk.

Thomas Bugert

Quadro Nuevo

Goethes persische Reise

GLM / Soulfood

4 Sterne

Deutschlands Dichterfürst Goethe war bekanntlich ein Verehrer des persischen Poeten Hafis, den er sogar einen „Zwilling im Geiste“ nannte. Die heutigen Publikumslieblinge Quadro Nuevo haben schon die ganze Welt bereist und tourten auch häufig im Orient – da liegt die Verbindung auf der Hand. Die jüngste Reise durch den Iran fand erst im Frühjahr 2018 statt, und QN-Saxofonist Mulo Francel war begeistert von der Schönheit persischer Musik und Dichtkunst. Zusammen mit der Autorin Julie Fellmann sammelte er Eindrücke und Bilder, die sich unter anderem in der aufwendigen Verpackung dieser Hörbuch-CD niederschlagen. QN holten sich außerdem den Oud-Spieler Basem Darwisch und den Ney- und Duduk-Virtuosen Rageed William als Verstärkung, um die Musik authentischer klingen lassen zu können – Francel hat darüber hinaus Original-Atmosphäre aus dem Iran mit eingebaut.

Ein halbes Dutzend Sprecher – der prominenteste sicher Schauspieler August Zirner, der die Lyrik der persischen Dichter in deutscher Übersetzung spricht – sorgen für die Worte aus Goethes West-Östlichem Diwan, aus Gedichten von Hafis, Rumi und anderen Autoren aus der Gegend, die heute dem Iran entspricht. Man kann Goethes Faszination für diese sehr sinnlichen und gleichzeitig durchaus intellektuellen Verse – nicht alles versteht man auf Anhieb – sehr gut nachvollziehen.

Die Mischung aus Poesie und Musik ist ausgewogen, die Gestaltung der Texte und der Musik ist sehr liebevoll, detailliert und abwechslungsreich. Zwar ist Goethes persische Reise eindeutig ein Hörbuch, durch die fulminante Musik und die sorgfältige Aufbereitung der akustischen Elemente – allein die delikate Abmischung ist ein Fest für die Ohren – kann man die CD aber tatsächlich auch nebenbei hören. Die „trunkenen Narzissen“ und „keuschen Knospen“, von denen Hafis spricht, leuchten einem dadurch vielleicht sogar noch stärker ein.

Rolf Thomas