JOE-Festival

Essen

Von Stefan Pieper. Äußerst zufrieden zogen Konnie Vossebein, Patrick Hengst und Christian Ugurel, das neue Leitungsteam des JOE-Festivals, Bilanz. Die aktuelle, 23. Ausgabe des Festivals in der Zeche Carl als neuer Spielstätte machte deutlich, wie sinnvoll die Kräftebündelung gerade für die Jazzszene in Essen ist. Durch die neue Spielstätte gewinnt das Festival atmosphärisch, logistisch und vor allem auch finanziell, da aus gemeinsamen Mitteln geschöpft wird. Das ermöglicht publikumswirksame Headlinder wie das in Essen enthusiastisch gefeierte Bobo Stenson Trio.

Theo Ceccaldi © Stefan Pieper

So zuverlässig-kultiviert die drei Musiker aus Schweden auch aufspielten – die wirklich aufregenden neuen Akzente setzten die vielen anderen Bands und Musikern drumherum. Die Grundintention von Jazz, sich frei und ungefiltert mit unermüdlich neuen Ansätzen in Musik zu artikulieren, lebte in Essen mit unbegrenzter Leidenschaft. Da schließen sich auch mal Kreise zwischen jahrhundertealter Vergangenheit, Gegenwart und musikalischer Zukunft. Kit Downes wähnte sich nach eigenen Worten „in einem großen Raumschiff“, als er in der neuen Nebenspielstätte des Festivals, der Alten Kirche von Altenessen, sphärische Harmonien zu spektralen Mustern vereinte und daraus ungeahnte eigene Kreationen gen Himmel schickte. Improvisierte Musik ist zeitlos und bekam unter den Händen des kreativen Briten eine Aura von Ewigkeit.

Die Festivalmacher der Jazzoffensive holten die mutigsten Ideengeber und fabelhaftesten Instrumentenbeherrscher nach Essen, etwa den Berliner Schlagzeuger Christian Lillinger, der wie kein anderer rhythmische Strukturen atomisiert und damit das Spiel seiner Mitstreiter zum unberechenbaren Gesamtentwurf vernetzt. In der Zeche Carl traf Gitarrist Ronny Graupe auf das korsische Brüder-Duo Valentin und Théo Ceccaldi an Cello und Violine. So zupackend-energetisch, oft perkussiv wie Théo Ceccaldi behandelt selten jemand die Violine. Er bleibt daher wohl als die Entdeckung des Festivals in Erinnerung. Nicht minder hatte er im berückend lyrischen Trio Velvet Revolution seine große Stunde, diesmal unter Federführung des Saxofon-Poeten Daniel Erdmann und befeuert von den Vibrafon-Stürmen des Briten Jim Hart.

Sich unmittelbar ausdrücken, direkt drauflosspielen und ein bestechendes spieltechnisches Vokabular nicht Selbstzweck sein lassen – das war auch Sache von Bill McHenry und Joe Smith. Man nahm den beiden New Yorkern ohne Umschweife ab, dass sie sich jahrzehntelang in den Central Park gestellt und im gewitzten Drauflosspiel auf Saxofon und Schlagzeug aus ihrem Leben erzählt haben. Aber guter Jazz muss gar nicht in möglichst sportlicher Manier möglichst viele Töne freisetzen. Piepen en Kraken, eine neue Formation aus NRWs umtriebiger Jazzszene, geht konsequent den umgekehrten Weg. Moritz Anthes (tb), Andrea Kofinas (b), Johannes Mang (dr) und Fabian Neubauer (p) erzeugten ein intensives, manchmal skurriles Kopfkino auf dem Wege größtmöglicher Entschleunigung.