HÖRBUCHT

ANLEITUNG ZUM UNGLÜCKLICHSEIN

Alles ist gut. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein – sofort, im selben Augenblick.“ Was Fjodor Dostojewski so treffend in Worte kleidete, war Sigmund Freud auch nicht fremd. Von Paul Watzlawick und seiner legendären Anleitung zum Unglücklichsein ganz zu schweigen… Aber so „einfach“ ist es manchmal nicht, heutzutage ist eher alles noch komplizierter, megakomplex, gigavielschichtig und mehr als janusköpfig – mindestens ultra-oxymoral-amorph, superkontradiktorisch und hyperambivalent. Superlativistische Endzeitstimmung. Eine Welt für pantheistische Agnostiker ohne Aluhut. Und Glück bleibt nur eine Momentaufnahme. Maximal.

In der Hörbucht

Björn Simon

Ferdinand von Schirach

Kaffee und Zigaretten

Der Hörverlag

4 Sterne

Kaffee und Zigaretten von Ferdinand Schirach

Kaum hat es begonnen, könnte Ferdinand von Schirachs Buch Kaffee und Zigaretten auch schon an seinem Ende angelangt sein. Im ersten der 48 enthaltenen Texte beschreibt der Jurist und Erfolgsautor, wie er als Internatsschüler versuchte, sich mit einer Schrotflinte das Leben zu nehmen. Er scheiterte, weil er – verzweifelt und völlig betrunken – vergessen hatte, die Waffe zu laden. So fügte er sich in sein Schicksal und machte weiter: „Auch ohne die Begabung, glücklich zu sein, gibt es eine Pflicht zu leben.“ Was so persönlich beginnt, ist dennoch keine Biografie. Von Schirach reiht Erinnerungen und Reflexionen, Philosophisches und Alltägliches zu stetig wechselnden Themen und Personen in loser Folge aneinander und baut daraus ein Buch, das sich mit Jim Jarmuschs Episodenfilm Coffee and Cigarettes nicht nur den Titel zu teilen scheint.

Gedanken über Ausmalbücher für Erwachsene oder Modenschauen, Beschreibungen von Begegnungen mit Prominenten oder dem Wiedersehen mit früheren Mitschülern wechseln sich mit grundsätzlichen ethischen Überlegungen über die Würde des Menschen ab. Seine Fähigkeit, juristische Belange kurzweilig und verständlich darzustellen, hat der Autor bereits zur Genüge bewiesen; auch hier finden sich zahlreiche Einblicke in sein Berufsleben als Anwalt. Ferdinand von Schirach hat Interessantes erlebt und erzählt es so, dass man ihm gerne folgt. Er gelangt problem- und zwanglos in wenigen Sätzen von Mark Twain über Adam und Eva zu Helmut Schmidt – Kurzweil durch assoziative Sprünge. Doch selbst die leichteren Passagen sind unterlegt von der Tonalität, die der Eingangstext vorgibt, die Erinnerung an eine unglückliche Kindheit, die Unmöglichkeit, depressive Zustände nachvollziehbar zu beschreiben („Wie soll ein heller Mensch das Dunkle begreifen?“) und die unüberwindbare Distanz zu anderen Menschen. In mehreren der kurzen Momentaufnahmen, die manchmal unvermittelt, manchmal mit einer Pointe enden, werden Verlust, Trauer und Tod angesprochen.

Gelesen von Lars Eidinger in einem bedächtigen, entspannten, manchmal fast ein wenig schläfrigen Ton, wird der zum Nachdenken anregende Charakter des Buchs noch verstärkt. Jede denkbare Kritik am Vortragsstil verbietet sich ohnehin nach einem Blick aufs CD-Cover. Dort lässt sich Ferdinand von Schirach zitieren: „Lars Eidinger liest, wie ich schreibe.“ Es ist ein Stil, der sich nicht aufdrängt, der differenziert abwägend wirkt und dennoch unverrückbare Maximen transportiert und Haltung beweist: „Auch wenn wir die größte Abneigung haben, uns mit den heutigen Rohheiten zu befassen – es bleibt uns nichts anderes übrig. Nur wir selbst können uns der Barbarei, dem Speien und Wüten entgegenstellen.“

Guido Diesing

Sibylle Berg

GRM. Brainfuck.

Argon

3 Sterne

Es gibt einen schönen Peanuts-Strip, in dem Linus für die Zeit, die seine Cornflakes zum Einweichen benötigen, im Bücherregal nach Lektüre sucht: „Zettels Traum? Zu lang!“ Schließlich überlegt er zu lange und seine Cornflakes sind matschig. Das ist nicht nur ein gelungener Witz der deutschen Übersetzung – im Original erwägt Linus Bleak House von Charles Dickens –, er geht nicht nur ein wenig auf Kosten des monumentalen Hauptwerks von Arno Schmidt, sondern widmet sich auch einem Problem der Literatur, das schon Marcel Reich-Ranicki beschäftigt hat: Viele Romane sind einfach zu lang. Das gilt leider auch für das neue Werk von Sibylle Berg, in der ungekürzten Hörbuch-Fassung, gelesen von den Theaterschauspielern Lisa Hrdina und Torben Kessler, sagenhafte sechzehn Stunden lang.

Natürlich ist es ehrenwert, dass die Wahl-Schweizerin sich in Großbritannien auf die Spuren einer schwer angesagten Jugend- und Underground-Kultur begeben hat – es geht um das düstere Dancefloor-Genre Grime –, und auch der Suada-ähnliche Schreibstil Bergs, der einen so manches Mal an Thomas Bernhard erinnert, hat durchaus hypnotische Qualitäten; und doch, irgendwann ermüdet auch der gutwilligste Hörer. Na klar, Überwachungsstaat, der Wandel des Internets von der Verheißung – an der naiven Utopie, die vor ungefähr zwanzig Jahren von Netz-Protagonisten wie Sascha Lobo reichlich unbedarft verbreitet wurde, hat Berg sich durchaus beteiligt – zu den heutigen Datenkraken von GAFA (das Kürzel steht für Google, Amazon, Facebook und Apple), die abgehängten Jugendlichen der Unterschicht, all das ist kritikwürdig; und natürlich macht Berg mit der Ansiedlung der Handlung in Großbritannien einen Punkt, denn hier wird man tatsächlich heute schon umfassend überwacht – und zwar nicht nur im Internet, sondern eben auch durch analoge Kameras – und zum Optimismus besteht kaum ein Anlass, aber dennoch kann man Sibylle Berg den gnadenlos negativen Blick auf die britische Gesellschaft und die Grime-Szene nicht ganz abnehmen.

Bücher mit einer Botschaft – denn für die Botschaft der Verknüpfung von Überwachung und britischen Jugendlichen ohne Perspektive hat Berg nach eigener Aussage das Buch geschrieben – sind aber leider selten gelungene Literatur. In kleinen Portionen genossen ist GRM natürlich trotzdem großartig – die Bezeichnung der Hayek-Gesellschaft als „Ansammlung marktliberaler Idioten“ lässt einen zum Beispiel auflachen –, insgesamt gilt aber immer noch das Wort von Bob Dylan: „If you have a message, go to Western Union.“

Rolf Thomas