J.D.Hive

Die Wüste blüht

© Severin Koller

Wer ob des Bandnamens J.D.Hive an einen summenden Bienenstock denkt, liegt sicherlich nicht falsch, denn auf diesen sechs Stücken summt’s nicht nur, es schwirrt, wirrt und flirrt, dass auch der Liner-Notes-Schreiber resignierend festhalten muss: „It’s not easy to decide what we really hear.“

Von Victoriah Szirmai

Das Quartett ist neu – der Leader nicht. Geiger und Komponist Johannes „J.D.“ Dickbauer feiert seit Jahren Erfolge, ob in Klassik oder Jazz, etwa mit dem radio.string.quartet.vienna, dessen Interpretation von Stücken des Mahavishnu Orchestra für Aufruhr sorgte. Dem schon dort realisierten Genre-Mix mit dem komplizierten Dreiecksverhältnis zwischen Jazz, Folk und Natural Sounds nur unzureichend erfasst, werden doch wenigstens die Komponenten Klassik, Rock, Pop, Electronica und Contemporary unterschlagen bleibt Dickbauer auch mit seiner neuen Formation J.D.Hive treu.

Der Titeltrack und gleichzeitige Opener „Isn’t Dinner Lovely Tonight“ gleicht zunächst einem leichten Entrée mit leisem Pizzicato-Loop, über den sich ein dezent orientalisierendes Violinspiel legt, derweil das Piano dergestalt als Taktgeber fungiert, dass man wieder weiß, weshalb es im Bigband-Inventar der Rhythm-Section zugeteilt ist. Den Hauptgang bildet eine inmitten der zunehmend außer Kontrolle geratenen Klänge immer wieder durchscheinende Geigenmelodie, die auch nicht krummzunehmen scheint, dass es keine Nachspeise geben wird, hat das Auftauchen von Dickbauers Kids doch getreu dem Motto „Kuchenschlacht statt Zweisamkeit“ das mit seiner Frau geplante Lovely Dinner gründlich sabotiert, was vielleicht der Romantik ab-, dem (auch Hörer-)Spaß jedoch höchst zuträglich ist.

Der Knappelfminüter „Race Against 1.5“ nährt die Antwortwolke auf die Eingangsfrage „Was zum Teufel hören wir hier eigentlich?“, wartet er doch mit nahöstlich anmutendem Schlagwerk auf, das mit dem Bass ein sachtes Duett eingeht, bevor Dickbauers Violine dazwischengrätscht, als würde sie Fangen spielen wollen, mal hier aufscheint, dort vorpirscht, sich dann wieder hinter dem nächsten Busch versteckt, nur um gleich wieder von einem unerreichbaren Ort, vielleicht einem Hausdach, sirenenartig zu locken, bevor sich alles im großen Unisono zur Rhythmusbatterie vereint. Aus der schält sich die Sologeige wieder einmal hervor, derweil das nunmehr elegische Klavier das Ganze in ruhige Fahrwasser führt, was einen Moment des Durchatmens ermöglicht – und des schuldbewussten Schwelgens im Schönklang, durchbrochen wieder von einer struppigen Geige, welche ihn jedoch nicht mehr stoppen kann. Der Bass verleiht dem Ganzen – tonale wie metaphorische –Tiefe, sekundiert vom kaum wahrnehmbaren, doch unverzichtbaren Schlagwerk.

Sebastian Schneider (p), Andreas Waelti (b) und András Dés (perc) klingen wie ein lang eingespieltes Jazz-Piano-Trio, wenn die Geige schweigt. Es scheint, als gäbe es auf Isn’t Dinner Lovely Tonight zwei grundlegend verschiedene Sounds: den des elegischen Klaviertrios sowie den rhythmusbetonteren Quartettklang, für den nicht zuletzt der Bandleader sorgt, der sein Instrument so manches Mal mit einem Schlagzeug verwechselt, während er mit mindestens einem Fuß tief im Irish-Pub-Fiddlertum steckt.

Abhilfe gegen diese sinnliche Überforderung bietet die „Dystonian Distraction“, die mit einem Pizzicato-Solo und viel Hall behutsam beginnt, umspielt nur von leichten Klaviertupfern, worüber eine wunderschöne Melodie entschwebt, deren ferne Echos seltsam bekannt anmuten. Kennen Sie diese „Die Wüste blüht“-Zeitraffer-Videos? Wo erst ein ganz kleiner Punkt aufleuchtet, dann noch einer, noch einer, und mit einem Mal werden es immer mehr und mehr, und zum Schluss blüht die ganze Wüste? Ein Blumenteppich, wo sonst karge Dürre herrscht. So ist das auch mit diesem Stück.

Der merkwürdig maschinelle Untergrund von „Vaccine Frenzy“, der klingt, als nähme hier eine entmenschlichte Fließbandproduktion ihren Lauf, stößt den Hörer dagegen erst einmal fort, bevor Piano und Bass ein Versöhnungsangebot unterbreiten, das von der nervös flatternden Geige gleich wieder gesprengt wird, als wolle sie Mitstreitern und Hörern zurufen, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, was erst vom beruhigenden Basssolo wieder richtiggestellt und vonvdem sich anschließenden Klaviersolo detailliert ausgeführt wird. Es ist eine Diskussion. Gegenargument folgt auf Argument, Für auf Wider, Korrektiv auf Behauptung. Der bislang erhaben schwelgende Triosound nimmt eine intensiv-energetische Form an, dazu angetan, wieder in den akzentuierten Quartettklang zu überführen. Der lässt sich auf „Breeze of Broken Reflections“ mit sanftem Pizzicato an und wird dann: Einfach. Nur. Schön. Wenn’s doch immer so sein könnte, das Leben, das hier auch noch die richtige Portion Weltschmerz im Gepäck hat, an der es sich so wohlig-kathartisch leiden lässt.

Nachdem jetzt selbst der hartgesottenste Hörer (ja, genau der Typ, der immer mit verschränkten Armen in der ersten Reihe links steht und nie klatscht) so geheult hat, als würde niemand zusehen, fällt die Energiekurve nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt mit dem unbestimmt vor sich hinplätschernden „Lost Caravan“ in sich zusammen, bis ein Klaviersolo noch einmal die letzten Reserven mobilisiert und zu einem gewaltigen, ausgedehnten Finale lädt, das die eingangs gestellte Frage umformulieren lässt. Nicht: „Was ist dieses Album?“, sondern: „Was macht dieses Album?“ Und als Antwort darauf genügt ein Wort: Spaß.

Aktuelles Album:

J.D.Hive: Isn’t Dinner Lovely Tonight (Traumton / Indigo)