In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Olivier Lété

Ostrakinda

Jazzdor / L’Autre Distribution

4 Sterne

Der französische E-Bassist Olivier Lété leitet dieses Trio, zu dem außerdem der Trompeter Aymeric Avice und der Schlagzeuger Toma Gouband gehören. Er bewegt sich seit zwei Jahrzehnten in der französischen Jazz-Szene und hat seine Karriere im renommierten Orchestre National de Jazz begonnen. Zusammen mit Gouband widmet sich Lété archaischen Rhythmen, die manchmal rockig voranschreiten und sich dann wieder avantgardistisch auflösen. Darüber erhebt sich die Trompete – und manchmal das Flügelhorn – von Avice, der neben Free Jazz auch schon Punk und Metal gespielt und mit der legendären Band Magma im Studio gestanden hat. All diese Einflüsse sind durchaus spürbar in seinen spartanischen Improvisationen, die manchmal unfassbar einsam klingen. Ostrakinda ist ein griechisches Ballspiel, bei dem zwei Teams sich gegenseitig jagen und die Rollen wechseln – eine treffende Metapher für dieses Trio, das sich gegenseitig die Bälle zuspielt und bei dem die Musiker manchmal so blitzschnell reagieren, als ob sie auf der Jagd wären. Durch den E-Bass und die unorthodoxe Spielweise von Gouband ist der Klang von Ostrakinda zwischen Minimalismus und einem skelettierten Sound jedenfalls ziemlich einzigartig.

Rolf Thomas

LBT

Abstrakt

enja / Edel:Kultur

4 Sterne

Ein bisschen irreführend ist es schon: So abstrakt, wie der Titel ihres neuen Albums signalisiert, ist das virtuose Spiel des Leo Betzl Trios (LBT) nicht, das nach einigen Ausflügen in die Welt des Akustik-Techno jetzt wieder zurück zu seinen Wurzeln gefunden hat. Statt wilder Klangexperimente und dekonstruierter Rhythmik dominieren eine meist klare Linienführung, eine nachvollziehbare Bildsprache und ein beständiger Rahmen; Ausnahmen wie der Schluss des Openers Vom Hof“ bestätigen nur die Regel. Doch gerade durch diese Struktur erhalten die eigenwilligen Passagen eine besondere Wucht und Energie, die sonst auch durchaus auf einem Rave nicht fehl am Platz gewesen wäre. Diese Verbindung kommt nicht von ungefähr. Immerhin stammen sowohl Pianist Betzl als auch Bassist Maximilian Hirning und Drummer Sebastian Wolfgruber aus dem Dunstkreis der Jazzrausch Bigband, die den Techno scheinbar mühelos in die Jazz-Clubs und Opernhäuser der Bundesrepublik geholt hat. Deren Konzept hat LBT mit den Mitteln eines klassischen Klavier-Jazztrios übernommen und weiterentwickelt, ohne allerdings dem Modern Jazz den Rücken zu kehren. Mit der Live-Aufnahme Abstrakt soll nun eine Art Symbiose erfolgen, bei der die romantischen Klavierlinien und die fulminante Rhythmusarbeit gedanklich erweitert werden sollen. Was etwa bei dem eher filmmusikalischen Arpeggios“ nicht so ganz, im Titelstück dafür umso überzeugender gelingt.

Thomas Kölsch

Jonas Engel & Own Your Bones

Staring Is Caring

Tangible

3,5 Sterne

Der Altsaxofonist und Bandleader liebt es, seine Zuhörer ein bisschen an der Nase herumzuführen. So stimmen Jonas Engel und der Tenorsaxofonist Karlis Auzins beseelt im Opener „Zwiwwel“ eine Weise an, die so ähnlich wie „My Bonnie“ klingt. Aber eben nur so ähnlich. Drummer Dominik Mahnig soliert ungerührt und freejazzig über dem weichen Bläserklang. Und damit ist auch schon der Rahmen umschrieben, in dem sich die neun Stücke des Albums bewegen. Staring Is Caring ist die zweite CD des Quartetts, das auf jegliche Harmonie-Instrumente verzichtet. Wozu auch, wenn das Endergebnis dadurch spannender und unkonventioneller wirkt? Auch das Verhältnis zwischen Solo- und Rhythmus-Instrumenten ist weitestgehend aufgehoben. So übernimmt in dem elegischen „Atlas“ David Helm am gestrichenen Kontrabass die Melodie-Führung, während die beiden Saxofone im Hintergrund aberwitzige Kommentare einstreuen. Noch besser gelingt dies in „Omaria“, wo unorthodoxe Klangexperimente auf eine fast zärtlich einschmeichelnde Saxofon-Melodie treffen. Die rein akustische Formation verblüfft hier mit quasi psychedelischen Sounds. Man kann diese Musik als komponierten Free Jazz bezeichnen, in dem oftmals lyrische Themen von ungebändigten Improvisationen umspielt werden. Dennoch klingt Staring Is Caring vergleichsweise zahm im Vergleich zu anderen Projekten, die Engel sonst bereits betrieben hat. Kleiner Scherz am Rande: Die CD endet mit einem Hidden Track, der erstaunlich traditionell swingt. Und doch geben die beiden Saxofonisten ihre ganz eigene Note in dieses Stück.

Andreas Schneider