Omer Klein

© Yvonne Schmedemann

Kollektive Intuition

Mit Life & Fire feiert der israelische Pianist Omer Klein das zehnjährige Bestehen seines Trios mit dem Schlagzeuger Amir Bresler und dem Bassisten Haggai Cohen-Milo. Das Album wurde live vor Publikum in den Emil Berliner Studios aufgenommen, die Hälfte des Materials besteht aus neuen Versionen älterer Stücke.

Von Harry Schmidt

Die Geschichte von Life & Fire beginnt an dem Punkt, an dem mir bewusst wurde, dass 2023 ein Jubiläumsjahr für mein Trio mit Amir Bresler und Haggai Cohen-Milo ansteht“, erklärt Omer Klein mit wohlklingend sonorer Stimme. „Eine der Ideen, diese enge zehnjährige Zusammenarbeit zu feiern, war, ein Album aufzunehmen und zu veröffentlichen, das wirklich in diesem Sinn ein Vergnügen für uns sein sollte – wie eine Feier, eine Party.“ Also dachte er über die Faktoren nach, die bei Studioaufnahmen üblicherweise dafür sogen, dass keine Partystimmung aufkommt. Zum Beispiel dass die Musiker meist neue Stücke spielen und sich entsprechend fokussieren müssen. Auch das Spielen mit Kopfhörern in getrennten Räumen fühle sich eher wie das Gegenteil von Spaß an, „genauso wie die Tatsache, dass niemand da ist, um zuzuhören – das wirkt seltsam, weil wir es lieben, vor Publikum zu spielen.“

Dementsprechend fragte er bei den Emil Berliner Studios an, ob sie „auch einen Raum haben, der zu klein für uns ist“. Dort baute die Gruppe das Set-up ganz ähnlich auf wie bei einem Liveauftritt. Außerdem entschied Klein, dass die Hälfte des Materials aus neuen Versionen älterer Stücke bestehen sollte. „Stücke, die wir in den vergangenen zehn Jahren oft gespielt haben, sehr gut kennen und lieben – so dass alle sehr frei damit umgehen können, fast so, als würde man meine alten Originals wie Standards behandeln.“ Die andere Hälfte aus tatsächlich neuen Stücken hielt er zudem eher einfach.

„Die vielleicht wichtigste Entscheidung war jedoch, das Studio mit Freunden zu füllen.“ Klein hatte zweieinhalb Tage Studiozeit gebucht, aber ein Großteil der nun auf Life & Fire zu hörenden neun Tracks sind Aufnahmen aus den beiden Sets, die das Trio am letzten Abend, umgeben von 30 bis 40 Freunden, „mit einigen Drinks wie in einem Nightclub“ gespielt hat, so Klein.

Resonanz zu erfahren, sei eine der maßgeblichen Triebfedern menschlichen Handelns, behauptet der Soziologe Hartmut Rosa. Mit seinem sechsten Trioalbum (dem vierten für Warner Music) könnte Omer Klein so etwas wie eine praktische Bestätigung dieser These gelungen sein. Gerade altbekanntes Repertoire wie „Niggun“ oder „Spilt Milk“ findet sich hier in neu belebter Form. Gleich im Opener „The Ravens“, 2006 erschienen auf seinem Debüt Duet mit Haggai Cohen-Milo, entfaltet sich das außerordentliche rhapsodische Talent des Pianisten aufs Schönste – ein intimer, von Bresler mit den Besen akzentuierter und von Cohen-Milos dezenten Bassfiguren verknüpfter und grundierter Klaviertrio-Tune als Auftakt, dreidimensionaler Cool Jazz im Sinne von Bill Evans, dessen eingängige Melodie sofort einen unwiderstehlichen Sog entwickelt.

Ebenfalls vor Jahren geschrieben, aber mit dem Trio noch nie gespielt, die beiden Tracks im Anschluss: „Song N° 2“, einer der ältesten Klein-Tunes, verleugnet seine Inspirationsquelle Thelonious Monk nicht, wird hier aber zum Ausgangspunkt einer Reihe sich immer wieder neu rekonfigurierender Duette. In ähnlich kantabler Hochstimmung folgt „3/4 Mantra“ mit leichtem Latin-Groove-Einschlag. Die berührend melancholische Ballade „Tzuri“ ist seinem verstorbenen libanesischen Großvater gewidmet, so der in Israel geborene und aufgewachsene Pianist – ein Stück Erinnerungsarbeit, dessen atmosphärische Verdichtung in Form einer „Vignette“ (Klein) hier mit den größten Nachhall erzeugt. Wie ein kubistischer Latin-Jazz-Tune wirkt „Cantando“. Darauf, „One Step at a Time“ nochmals aufzunehmen, hatten sich alle sofort geeinigt – die Nummer vom Album Sleepwalkers (2017) haben sie hundertfach live gespielt, sie ist nun der epische Center-Track von Life & Fire, dieser so euphorischen wie organischen Feier gegenwärtiger Klaviertrio-Kultur.

Neben dem über Jahre gewachsenen Vertrauen zwischen den Musikern entstehe durch die lange Zusammenarbeit so etwas wie „Kollektivintuition“, wodurch „mutigere Entscheidungen“ getroffen werden können, sagt Klein. „Nachdem auf allen vorangegangenen Alben immer eher mein aktueller Approach als Komponist im Vordergrund stand, kann man auf diesem wirklich hören, zu was wir als Trio geworden sind in den zehn Jahren des Tourens, Aufnehmens und Probens.“ Den Moment zu feiern, klinge zwar wie ein Klischee, sei aber ein wichtiger Aspekt für diese Musik, so der 40-Jährige: „Es ging mir um die Freiheit der Musiker und die Überraschungen, die sich dadurch beim Spielen der Songs ergeben.“ So auch bei „Malchut“, dem verspielten offenen Ende dieser im besten Sinn grenzenlosen Trio-Apotheose.

Aktuelles Album:

Omer Klein: Life & Fire (Ponderosa Music Records / Warner Music)