Jazz Connective

Helsinki

Von Jan Kobrzinowski. Während Populisten im großen Stil an europäischer Desintegration arbeiten, an kulturellen Lebensadern gesägt wird, weltweit die Nichterfüllung von Klima-Abkommen Frustrationen schürt und sich in vielen Ländern anti-europäische Stimmung ausbreitet, arbeiten kleine, aber feine Initiativen von unten an Europas Reintegration, auch im Bereich Jazz und improvisierte Musik. Eine solche ist Jazz Connective, gegründet im August 2018 von Pierre Dugelay aus Lyon. Der Host Entrepreneur (Europäische Kommission) leitet dort Périscope, eine Alternative zu klassischen Venues, Musiklabor und Entdeckungsort, angetreten, um „Energien zum Schutz eines utopischen künstlerischen Raumes zu sammeln“. Dugelay ist Mitglied des European Jazz Network (EJN) und Vizepräsident des AJC, des Netzwerks französischer Festivalchefs und Jazz-Promoter: Jazz Migration, French Nordic Jazz Transit, Jazzdor und anderer Festivals. Aber zurück zu Jazz Connective. Von außen betrachtet ein loser Zusammenschluss von Promotern, Tour- und Label-Managern, Journalisten und Musikern, steckt wackere Basisarbeit dahinter, mit Aktivitäten in Ljubljana und Łódź, nun „Go Northward“ in Helsinki, im Frühjahr folgen „Irish Time“ in Dublin und „The English Session“ in London und Birmingham, alles unterstützt vom EU-Projekt Creative Europe.

Charles Gil © Maarit Kytöharju

Musiker und ihre Organisationen sehen sich heutzutage Herausforderungen gegenüber: mangelnde Förderung, Schwierigkeiten bei der Definition ihrer Karrieren und ihrer Beziehung zu Institutionen sowie ein Gefühl der Abschottung vom Publikum. „Wir glauben, dass ein europäischer Ansatz dazu beitragen kann, neue Strategien zu entwickeln. Basierend auf transnationaler Mobilität wollen wir gemeinsam über diese Veränderungen reflektieren und eine Kultur fördern, die sowohl integrativ ist als auch innovative Wirtschaftsmodelle hervorbringt.“

Ende Oktober traf man sich in Helsinki, dem Lebenszentrum von Charles Gil. Es scheint nichts zu geben, was diesen ruhig und immer besonnen wirkenden Multi-Tasker von seinem Weg abbringen kann. Als Produzent, Tourmanager und Promoter spezialisiert auf innovativen Jazz, koordiniert und organisiert er gemeinsam mit der Finnish Jazz Federation „Mini-Festivals on Tour“ für französische Künstler in Finnland, Skandinavien und im Baltikum. Nach seinem Umzug von Frankreich nach Helsinki hatte er 1996 Vapaat äänet (Freie Stimmen/Klänge) gegründet, eine Agentur, die schnell für Originalität und hohe Qualität bekannt wurde. Bereits 2012 wurde die magische Zahl von 1000 Konzerten überschritten. Umgekehrt brachte Gil finnischen Jazz nach Frankreich und in andere europäische Länder. Dabei entstanden großartige Kollaborationen wie z.B. die von Sylvain Darrifourcq (dr), Verneri Pohjola (tp) und Eero Tikkanen (b) sowie dem irischen Duo Insufficient Funs mit Mikko Innanen (sax), die beim Jazz-Connective-Showcase in Helsinki zu erleben waren.

Für Jazz Connective ist Europa kein hehres politisches Ziel – es versteht sich als „Netzwerk zur Selbsthilfe“. Überall, wo die Events mit Konzerten, Workshops und Diskussionsrunden stattfinden, sind lokale und regionale Institutionen eingebunden, finanziert durch einen intelligenten Funding-Mix aus europäischen Töpfen, Eigen- sowie Stiftungsmitteln. Vorerst letzter Halt des Jazz-Connective-Zuges ist im April 2020 Lyon. Dort kümmert sich dann Périscope um Events, Konferenzen und Künstler-Residenzen.

Jazz und improvisierte Musik als gelebte Connectivity brauchen finanzielle Unterstützung und Mobilität. Für alle Jazzmusiker ist das On-Tour-Sein das Größte. Dennoch wird es immer widersinniger, planlos von A nach B zu jetten. So war Nachhaltigkeit im Tourenplan Thema beim Round Table in Helsinki. Parallel zum „Take the Green Train“-Manifest des EJN arbeitet Jazz Connective fleißig am Projekt Slow Touring. Wie das geht, erklärt Gil: „Konkret haben wir mit meinen französischen Partnern und Produzenten versucht, das Fliegen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, wo immer das machbar ist.“ Er organisierte mit Vapaat äänet Tourneen für französische Bands mit bis zu 20 Gigs in Finnland und dem Baltikum – mit nur einem Rückflug in die Region – und ist aktuell dabei, die Tour von Daniel Erdmann’s Velvet Revolution 2020 in diesem Stil zu planen. Sechs Länder sitzen bisher im Jazz-Connective-Boot. 2022 soll es weitergehen mit mehr Mini-Festivals – und vielleicht neuen Partnerstädten in weiteren Ländern?

Website:

http://jazzconnective.eu