Jazz Happening
Tampere
Von Jan Kobrzinowski. In diesem Jahr war es sicher für Festivalmacher*innen nicht leicht, kurzfristig überhaupt ein internationales Programm auf die Beine zu stellen. Für das Tampere Jazz Happening stand zudem das 40. Jubiläum an, möglichst mit Highlights in üblicher Qualität, dem Schuss Abenteuer inklusive der für Tampere so typischen Überraschungen. Die gab es und die Mischung stimmte. Großes Lob an das TJH-Team. Zu würdigen, was vier pralle Tage boten, geht leider nur im Telegrammstil.
Ausgetickt: New Brazilian Funk, Paal Nilssen-Loves neues Projekt mit pfiffiger Dekonstruktion brasilianischer Klischees, war der abenteuerlichste Gig des TJH 2021. Abgebrüht: Lakecia Benjamin – topgestylt, war ihr Auftritt ein echter Hingucker, allerdings hätten sich John und Alice Coltrane für ein Tribute an ihre Musik vielleicht ein bisschen mehr Demut gewünscht. Hochmusikalisch: Das Sylvie Courvoisier Trio verband Komposition und Freiheit in einzigartiger Weise. Große Freiheit: Raoul Björkenheim, einer der Jubilare des Festivals, decodierte mit Sonic Decode im Club Telekka die Welt des freien Gitarrentrios. Ensembleleistung und beste Solisten: Roberto Ottaviano & Eternal Love Quintet mit Marco Colonna (c, bcl). Bestes Song- und Bandkonzept: Linda Fredriksson entfachte mit ihrer Juniper-Premiere lokale Begeisterungsstürme (siehe Story in diesem Heft). Herz und Hüften: Habib Koité & Band brachten jung und alt im Klubi mit akustischen Afro-Grooves auf die Beine. Magische Grooves: Majid Bekkas’ Magic Spirit Quartet mit Gnawa-infiziertem Jazz. Können und freie Kunst: Alexander Hawkins nutzte die gesamte Klaviatur für größte Dynamik. Feierlich: Das israelische Trio Shalosh mit Daniel Zamir (ss, voc) zelebrierte Odd Meters mit Herz und Seele. Meisterlich: Nichts wirklich Neues, wie einige meinten, doch ein derart ausgeruhtes, tiefenentspanntes Treffen zweier Jazz-Master wie Dave Holland und John Scofield erleben selbst Fachleute selten. Geheimtipp: De Beren Gieren aus Gent (Teil des Spotlight on Belgium) sorgten zum Abschluss im Telekka für einen innovativen und unorthodoxen Piano-Trio-Gig. Davon wird noch zu hören sein.
Ein außermusikalisches, doch kulturelles Highlight war der Besuch einer finnischen Rauch-Sauna. In 50 Kilometer Entfernung zur Stadt wurde als Teil des Gäste-Programms stundenlang ein gigantischer Ofen ohne Abzug angeheizt. Nachdem der Qualm verzogen war, gab es das denkbar urtümlichste Saunaerlebnis. Und ein großes Vergnügen war es, den Geschichten des Konzertagentur-Gründers Tapio Korjus („50 years Rockadillo“) im städtischen Museum Vapriikki zu lauschen. Festival und Stadt arbeiten in Tampere so effektiv und respektvoll miteinander, dass sich gerne einige internationale Kollegen und ihre kommunalen Unterstützer eine große Scheibe davon abschneiden dürfen. Zwar verkraftbar, dennoch ein kleiner Wermutstropfen: Als einziger Vertreter der deutschen Journalistenzunft fiel mir der erneute Mangel an Musiker*innen aus der Heimat auf. Stimmt da etwas nicht mit dem deutschen Musik-Exportsystem?