Jazz Happening

Tampere

© Maarit Kytharju

Von Jan Kobrzinowski. Kaum war WOMEX samt Entourage abgereist, ging es in Tampere schon weiter mit Jazz. Leichte Kost gab es in diesem Jahr von Omar Sosa und Yilian Cañizares und dem Cross Currents Trio mit Dave Holland, Chris Potter und Zakir Hussain. Aber Juhamatti Kauppinen sei Dank – Gigs mit mehr Zünd- und Diskussionsstoff ließen nicht auf sich warten. Schwerpunkt war ein „Spotlight on France“. Das Quintett Melusine klang noch recht brav frankophon, die Indie-Jazz-Sounds von Three Days of Forest und House of Echos rockige Soundscape-Minimalistik brachten das überwiegend junge Publikum im Klubi in Schwung. Joëlle Léandre, Altmeisterin des neuen französischen Jazz, schuf in ihrem bisher einzigen Orchesterstück (für ein Tentett aus Streichern, Holz und Blech, Gitarre und Schlagwerk) vom Bass aus sperrige, teils atonale Klangfelder zwischen hochemotionaler Improvisation und komponierter zeitgenössischer Musik. Später wurde das TJH zum Familientreffen der Gebrüder Ceccaldi: Théos Freaks führten vor, was eine französische Supergroup ist, Zappa und Zorn ließen grüßen. Was Bruder Valentin mit Sylvain Darrifourcq und Manuel Hermia aufführte, gehört zum aktuell Spannendsten, was europäischer Jazz zu bieten hat: Riesen-Spielintelligenz, unbegrenzter Einfallsreichtum und großes Klang-Dynamik-Spektrum – atemberaubend! Über Das Kapital ist schon vieles gesagt worden: Künstler, die so mit alten Schmachtfetzen umgehen – das ist Spaß und Genuss auf höchstem Niveau. Wenn das freie Spiel der Kräfte im Jazz allerdings zur Dominanz der Stärkeren führt, wenn Zwiegespräch und echte Interaktion fehlen, bleibt von Freiheit und Streitkultur im Jazz nicht viel übrig. Rodrigo Amados This Is Our Language 4tet spielte Macho-Free-Jazz, in dem Veteran Joe McPhee als Gast leider nur am Rande vorkam. Seltsam außen vor blieb McPhee auch als Gast der Band des finnischen Altmeisters Juhani Aaltonen.

70 Jahre Aki Takase, davon 30 in Berlin – Gründe genug zum Feiern für die nimmermüde Pianistin. Impro und Komposition griffen genial ineinander, Schlippenbach-Sohn DJ Illvibe lieferte mit Plattentellern profunde musikalische Beiträge. Herausragend: Daniel Erdmann. Gitarrenmagier Fred Frith und sein Einfallsreichtum standen mit Closer to the Ground ganz im Dienst des Großen und Ganzen. Sein Trio mit der exquisiten Trompeterin Susana Santos Silva verband Noise mit Rock ‘n‘ Roll. Im rein finnischen Telekka-Clubprogramm überzeugte Superposition!, das neue Projekt des Drummers Olavi Louhivuori mit den beiden Saxofonistinnen Linda Fredriksson und Adele Sauros. Das Jussi Lehtonen Quartet lieferte lupenreinen Neo-Hardbop mit großen improvisatorischen Spielräumen. Das Flyover Ensemble des Bassisten Lauri Porra brachte das Gebäude mit Deep Rock & Fusion zum Erzittern. Zum Abschluss des Hauptprogramms im Alten Zollhaus überzeugte Ambrose Akinmusire mit „Origami Harvest“, einer Suite für Trompete, Tasten und Schlagzeug plus Streichquartett in eigenständiger und teilweise völlig untypischer Funktion. Noch spannender wurde es durch die hochpolitischen, großenteils improvisierten Rap-, Spoken Word- und Soul-Vocals des Poetry-Rappers Kokayi.

Bei jedem TJH ist für nächtliches Entertainment gesorgt: Eine Jamaican Party entfachten The Skatalites mit Ehrengast Doreen Shaffer, dem einzigen überlebenden Original. Für die zweite Nacht hatte der Schweizer Samuel Blaser eine funkelnde Hommage-Band zusammengestellt: In Don Cosmic, seinem aus dem Boden gestampften, aber sehr gelungenen Tribute to Don Drummond, glänzten neben dem charismatischen Soweto Kinch einige Ska- und Rock-Steady-Experten. In beiden Nächten im Klubi war bis zur letzten Note gegen 3 Uhr alles auf den Beinen. Fazit: Je weniger Eklektizismus und Dominanzgehabe und je mehr Bands mit Konzept und eigener Dramaturgie, desto mehr lebt der Jazz.