Jazz in E.

Eberswalde

© Torsten Stapel

Von Thomas Melzer. „Es ist egal, wo man spielt“, sagte einst Jaki Liebezeit, „ob das in Shanghai ist oder in Eberswalde.“ Mag sein. Nicht egal ist, wo in Eberswalde der Jazz spielt. „Jazz in E.“ hatte im Laufe der 29 Jahre verschiedene Spielorte, jeder stand für eine andere Position des Festivals in der Stadtgesellschaft. Nach einer Dekade erfolgreicher Mitte-Bespielung hat es sich nun selbstbestimmt an den Stadtrand zurückgezogen. Ein in Vergessenheit geratener Gral ward aufgetan, das Kulturhaus des erloschenen VEB Rohrleitungsbau Finow. Aus dem Zentrum nahmen die Veranstalter die Leuchtschrift des einzigen DDR-Kaufhauses mit, die sie sich vor 20 Jahren in ahnungsvoller Weitsicht gesichert hatten. „Kontakt“ verhieß sie nun leuchtend vom Bühnenhintergrund her über die vier Himmelfahrtstage, als wolle sie die Prioritäten klarstellen: Musik auf einem Festival ist nur Mittel zum Zweck.

Vom DDR-Kaufhaus zum Consumer-Album des Melt Trio ist es ein weiter Weg. Weit erschien am ersten Festivalabend schon der Weg, den die Band seit der Record-Release-Party im Berliner Zig Zag Club im April 2023 zurückgelegt hat. Cool und lässig bindet das Trio die Komplexität ihres musikalischen Materials in Herzenswärme. Längst wirft Peter Meyer mit seinen Gitarrenhallelujas nicht mehr so großzügig um sich wie einst, die Stücke streben lange und subtil und spannend zu ihnen hin. Und wenn es dann so weit ist, stellt sich Glück ein, schieres Glück.

© Torsten Stapel

Am zweiten Abend spielte jener Musiker, der am häufigsten Gast bei „Jazz in E.“ gewesen ist, mit einem, der zuvor noch nie da war: Kalle Kalima und Andreas Schaerer. Ende vorigen Jahres ist der finnische Gitarrist 50 geworden, Monate zuvor war sein Vater gestorben. Auf dem Geburtstagskonzert im Berliner Jazzclub 69 hatte Sängerin Jelena Kuljić verkündet: „Weil wir jetzt alle ein bestimmtes Alter erreicht haben, spielen wir leiser und langsamer. Du auch, Kalle!“ Die Prophezeiung ist eingetreten. In Eberswalde stellten Kalima und Schaerer ihr aktuelles Album Evolution vor, ein überwiegend leises, poetisches Liederprogramm – und zugleich wohl so etwas wie ihr erstes phänomenales Alterswerk. Im Gespräch mit rbb-Urgestein Ulf Drechsel – über viele Jahre hatte er das vom Ü-Wagen aufgezeichnete Eberswalder Festival in seinen Sendungen ausgestrahlt, mit seinem Renteneintritt ist beim Hauptstadtsender der regionale Jazz verstummt – bedauerte ich, das vierteilige Bill-Frisell-Wochenende in der Elbphilharmonie versäumt zu haben. „Aber wozu traurig sein?“, sagte Drechsel, „wir haben doch Kalle Kalima, einen mindestens ebenso guten Gitarristen.“

© Torsten Stapel

Großen Jubel erntete auch ein anderer aus dieser Gilde, Sachsens aufrechter, 75-jähriger Altmeister Helmut „Joe“ Sachse, der auf der Bühne mit dem 82-jährigen tschechischen Flötisten Jiří Stivín Akkorde jonglierte. Das neue Programm von Luise Volkmanns 13-köpfiger Formation Été Large – am Vorabend in Köln uraufgeführt – erlebte in Eberswalde zweite Premiere. Mitreißenden Groove brachte libelle, die internationale Band des neuerdings in der Eberswalder Nachbarschaft lebenden Wanja Slavin, in den Rohrleitungsbau. Und Joel Grip, Bassist des Trio Oùat, benannte in einer seiner launigen Ansagen die Aufgabe des Auftaktkonzerts: „Wir werden den Frühling durchsetzen!“ Darum geht es bei „Jazz in E.“ wohl insgesamt.