Jazz in E.

Eberswalde

© Steffen Groß

Von Thomas Melzer. Im Garten Vera spielte der Schweizer Schlagzeuger Julian Sartorius, im Garten Gabi, auf der anderen Seite des Eberswalder Flüsschens Schwärze, der Wahlschweizer Posaunist Nils Wogram. Und in Sankt Petersburg spielte zeitgleich die Schweizer Mannschaft bei der Fußball-EM gegen Spanien. Hinter dem Schlagzeug streamte ein MacBook. Auch ohne Fernsehbilder und -ton wusste das Publikum in beiden Gärten über den Verlauf des Viertelfinals stets Bescheid: Eigentor Schweiz. Ausgleich Schweiz. Rote Karte Schweiz. Verlängerung. Elfmeterschießen. Sieg Spanien. Fußballfan Sartorius bezog seine Energie an diesem Abend aus Sankt Petersburg und setzte sie mit den Händen um: Spiel mit den Trommeln. Spiel gegen die Becken. Spiel in den Raum. Pressing. Heraus kamen fünf grundverschiedene Konzertfünftel am ersten Abend von Jazz in E.

Das traditionsreiche Eberswalder Festival musste in diesem Jahr coronabedingt von seinem angestammten Himmelfahrts-Kalenderplatz weichen. Am ersten Juliwochenende ging es dafür auf musikalische Wanderschaft: An drei Tagen starteten jeweils fünf Hörergruppen in fünf innerstädtischen Gärten, die Eberswalder Bürger dem Festival zur Verfügung gestellt hatten. Dort harrten ihrer fünf stationäre Solisten, Duos oder Trioformationen, ein 20-minütiges Konzert zu spielen, um die Wandertruppen sodann auf den Weg in den jeweils nächsten Garten zu schicken. 3 x 5 x 20 ergab am Ende ein komplettes Festivalprogramm.

© Steffen Groß

Aus Not wurde Tugend, die Resonanz von Publikum und Musikern auf dieses nicht nur mathematische Konzept war überwältigend. Kaum auszudenken allerdings, das Wetter hätte nicht mitgespielt. Das Festival präsentierte sich zugleich als Schaulaufen von Nominierten, Preisträgern und Jurymitgliedern des einen Monat zuvor erstmals vergebenen Deutschen Jazzpreises sowie des Schweizer Musikpreises 2021: Luise Volkmann, Aki Takase, Christopher Dell, Christian Lillinger, Kalle Kalima, Manuel Troller. Einem, der seinen Preis bislang nicht erhalten hatte, sollte dieser in Eberswalde überreicht werden. Leider hielt eine Erkrankung Daniel Erdmann von seiner Reise ins nördliche Brandenburg ab. Kurzentschlossen sprang Alex von Schlippenbach für ihn ein und nahm neben Aki Takase am Flügel Platz, berührend spielten beide vierhändig. Fünfmal natürlich.

Wer, wie der Berichterstatter, in einem Garten Moderationsaufgaben zu erfüllen hatte und deshalb nicht mit auf Wanderschaft gehen konnte, verzichtete auf Vielfalt, gewann dafür Tiefe. Der Stoff aus Nils Wograms Soloalbum Bright Lights reicht zeitlich für zwei Sets. In fünf Sets konnte er ihn variieren und stets anders kombinieren. Von Mal zu Mal fügte sich die Posaune harmonischer in den großen Kirschbaum, unter dem Wogram spielte. Für die letzte Runde wagte es der Berichterstatter, sich sein Lieblingslied noch einmal zu wünschen, „A Humbled Man“, eine Hommage an Albert Mangelsdorff. Fast wäre es unerträglich schön geworden, hätten nicht zeitgleich die Schweizer in Sankt Petersburg ihre Elfmeter versemmelt – und Julian Sartorius drüben im Vera das Seinige daraus gemacht.

© Steffen Groß