Jazz in E.

© Torsten Stapel

Eberswalde

Von Thomas Melzer. Dem pünktlichen Beginn eines Schlagzeugkonzerts dürfte eigentlich nichts im Wege stehen, nicht einmal Kammerton a‘. Dem pünktlichen Beginn des Konzerts von Oliver Steidle und Christian Lillinger bei Jazz in E. stand ein Paul-Wunderlich-Zitat im Wege. Am Festivalort ist in einer Dauerausstellung das Lebenswerk des in Eberswalde geborenen „deutschen Salvador Dali“ zu sehen. Ein programmatisches Zitat an einer Wand zwischen Backstage und Bühne brachte kurz vor acht die beiden Avantgarde-Trommler zum Lodern: „Was nach Zufall aussieht, ist mir gewöhnlich ein Dorn im Auge.“ Puuh! Der Zufall als kreative Chance. Als Moment, auf den man sich durch Akkumulation von Wissen, Können und Konzepten vorbereiten muss. Der Zufall als allgegenwärtiges Prinzip, das sich nicht wegregulieren lässt. Die beiden redeten sich in Rage. Das Publikum wartete. Und erlebte dann ein Konzert, in dem alles dem Zufall überlassen blieb. Naja, beinahe alles. Die beiden kennen sich zu gut, um sich einander in ihrer trommelnden Kommunikation komplett zu überraschen. Lillinger hat vor langer Zeit als Fan auch bei Jazz in E. Konzerte des neun Jahre älteren Steidle studiert. Später war er sein Ersatzmann u.a. bei Klima Kalima und Rosa Rauschen. Längst trommeln sie auf Augenhöhe, wenngleich gemeinsam im Duo nur höchst selten. Ein Abenteuer, ein Trip, ein Vergnügen, eine Erfüllung – für die Ohren und die Augen, auf und vor der Bühne.

„Break“ war das Motto des diesjährigen, bereits 24. Himmelfahrtsfestivals im Barnimer Urstromtal. Das Schlagzeug dominierte den Sound an den vier Abenden, wobei Festivalchef Udo Muszynski sich Wochen zuvor selbst überrascht gab, dass sein Schwerpunkt mit dem 100. Geburtstag des 1918 von der Ludwig Drum Company in Chicago auf den Markt gebrachten Drum Kits korrespondierte. Jeder Abend begann mit einem Duo-Konzert, immer unter Beteiligung eines Schlagzeugers, und endete mit der Präsentation einer größeren Formation, nie ohne Mitwirkung eines Drummers. Das stilistisch bewusst weit gedehnte Spektrum reichte von Pranke (Max Andrzejewski – dr, voc; Daniel Bodvarsson – g, voc) bis zu Ätna (Inez – keyb, voc; Demian Kappenstein – dr) bzw. von Jim Blacks Band Malamute bis zum Marek Pospieszalski Quartet mit einem Frank-Sinatra-Programm. Im traditionellen Sonnabendmorgenkonzert auf dem Kirchhang hatte SÜDEN Premiere, das neue Projekt von Schlagzeuger Kay Lübke (mit John Schröder – g; Niko Meinhold – keyb). Nein, der Jazzrock ist nicht tot – er lebt!

„Ein Festival allein vermag es nicht, den aktuellen Jazz abzubilden“, erläuterte Udo Muszynski. „Aber wenn man die Programme von fünf Jahren mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten nebeneinanderlegt, dann erhält man schon ein sehr gutes Bild dessen, was und wie heutzutage im modernen Jazz gespielt wird.“ Das RBB-Kulturradio übertrug erstmals zwei Stunden live vom Festival, u.a. das Konzert von Oli Steidle & The Killing Popes, und wird weitere aufgezeichnete Konzerte zeitversetzt senden.