Jazzfest Bonn

Jazzfest Bonn © Thomas Kölsch

Von Thomas Kölsch. Die Kunst der Form war ein zentraler Bestandteil des diesjährigen Bonner Jazzfests: Avantgardisten mit dem Ziel maximaler Offenheit trafen auf Musiker, die eher klare Linien bevorzugten. Eine zentrale Rolle spielten dabei Piano-Formationen. Insbesondere Makoto Ozone und Aaron Goldberg setzten mit ihren Trios Maßstäbe, erwiesen sich als erfreulich klar und zugleich herrlich verspielt. Mit ihrer klassischen Prägung und überragenden Virtuosität sorgten die beiden für absolute Höhepunkte. Ihnen stellte Organisator Peter Materna mit dem Quintett von Eyolf Dale und dem Quartett von Pablo Held zwei Formationen gegenüber, die sich einer geschlossenen Spielweise eher verweigerten. Ersterer erinnerte an einen Collagen-Künstler, dessen Einfälle wie Glühwürmchen um ihn herumschwirrten – immer in Bewegung, flüchtig und verwirrend; Letzterer schien mitunter Hörgewohnheiten und rhythmische Konventionen vollständig zu dekonstruieren, nur um dann doch wieder in eine gewisse Formensprache zurückzufallen.

Ein ähnlicher Kontrast entstand beim einzigen reinen Gitarrenabend des Festivals: Während Lage Lund und seine Trio-Kollegen zwar ein gemeinsames Ziel, nicht aber einen gemeinsamen Weg zu haben schienen und sich gegenseitig stets auf einer Armlänge Abstand hielten, waren sich Philip Catherine und sein Bassist Martin Wind ganz nah. Herrlich, wie sich die beiden die Melodien zuwarfen und weder die Stücke noch den jeweils anderen aus den Augen verloren. Hier waren die Kompositionen nicht lediglich Ausgangspunkt für experimentelle Klangspielereien, sondern das Zentrum der Kunst. So auch bei Wolfgang Haffner. Der Drummer mit großem Gespür für Melodien setzte mit dem überragenden Vibrafonisten Christopher Dell sowie Roberto di Gioia (p) und Christian Diener (b) Maßstäbe. Der Fokus lag dabei auf dem aktuellen Album Kind of Spain mit seinen Flamenco- und Pasodoble-Anklängen – und was der 52-Jährige etwa aus dem traditionellen „Tres Notas Para Decir Te Quiero“ zauberte, war reine Magie. Derweil blieb Julia Biel ein wenig hinter den Erwartungen zurück, verharrte zu sehr im melancholischen Indie-Pop und wurde erst gegen Ende kontrastreicher und eigensinniger.

© Thomas Kölsch

Unter den großen Namen stach vor allem John Scofield hervor, der das Publikum in der Oper zum Toben brachte, während er über die Saiten jagte und Country-Songs wie Dolly Partons „Jolene“ verjazzte und modifizierte, bis nur noch wenig an die ursprüngliche Ballade erinnerte. Dennoch gelang es Scofield, die Balance zwischen Struktur und Freiheit zu wahren, wofür ihm die Menge stehende Ovationen spendete. Diese hatte auch das Bundesjazzorchester verdient, das mit einem anspruchsvollen filmmusikalischen Programm auftrat: Es hatte sich zu neun Bauhaus-Kurzfilmen aus den 20er und 30er Jahren kongeniale Musik auf den kollektiven Leib schreiben lassen. Großartig.

© Thomas Kölsch

Zur Party wurde schließlich der Auftritt von Incognito. Die Combo verstand es nicht nur mühelos, das Publikum zum Tanzen zu bringen und bis an den Bühnenrand zu locken, sondern auch Ed Motta zu entfesseln, der zuvor bei seinem eigenen Auftritt noch ein wenig gehemmt gewirkt hatte. Die Qualitäten dieses Stimmkünstlers, der nur noch vom atemberaubenden Andreas Schaerer in den Schatten gestellt wurde, kamen erst richtig zur Geltung, als er nicht mehr die komplette Verantwortung zu tragen hatte und die Freiheit besaß, innerhalb eines klaren Gefüges seiner Leidenschaft zu frönen.