Jazz in E.

© Torsten Stapel

Eberswalde

Von Thomas Melzer. Das diesjährige Eberswalder Jazzfestival unter das Thema „Ritual“ zu stellen, war entweder kokett, eine selbsterfüllende Prophezeiung oder ein weißer Schimmel: Jazz in E. ist längst ein Ritual. Insofern war der 25. Jahrgang kein ungewöhnlicher, zumal Festivalchef Udo Muszynski erkannt hat, dass es zu viel gute aktuelle Musik für nur vier Festivalabende gibt, und deshalb auf ein Jubiläums-Best-of konsequent verzichtete. Allenfalls eine gewisse Aura-Verschiebung war nach all den unvermeidbaren Elogen aus Musiker-, Besucher- und Politikermündern zu spüren – Jazz in E. hat nach dem ersten Vierteljahrhundert bereits das Legenden-Level erklommen.

Musikalisch stand das Festival im Zeichen der Dreisamkeit. Fünf Trios musizierten, natürlich keines wie das andere: Melt, Vula Viel, I Am Three, Murray / Håker Flaten / Nilssen-Love, Heinz Herbert. Dazu Peter Ehwalds Le Septuor de Grand Martin sowie der Ernte-Vierer, und das alles rituell eingerahmt von den Hexenmeistern Stella Chiweshe und Joe Sachse. Peter Ehwald, der Kindheitsjahre in Eberswalde verbracht hat, bediente im Eröffnungskonzert das Festivalthema mit der Entstehungsgeschichte seines Projekts: Allen Kompositionen liegt das Ritual des Frühaufstehens und Komponierens in frischer Morgenluft zugrunde. David Murray, nominell wohl der Star des Festivals, überraschte mit einem Ritual, das man einem gereiften 64-Jährigen nicht zugetraut hätte: Während seine norwegische Rhythmusabteilung neben ihm arbeitete, als gäbe es kein Morgen, checkte der Saxofonist auf der Bühne erst mal seine Handynachrichten. In einem kleinen Facebook-Film hatten die drei zuvor auf ihre erste gemeinsame Tour eingestimmt und nach der Aufzählung der Stationen Wien, Amsterdam und Oslo für das Finale versprochen: „First we take Manhattan, then we‘ll take Eberswalde.“ Und wie sie Eberswalde einnahmen! Es sah verdammt nach Blitzkrieg aus. Nach drei Minuten schien schwer vorstellbar, dass Ingebrigt Håker Flaten (b) und Paal Nilssen-Love (dr) ihr mörderisches Tempo würden durchhalten können. Doch sie schafften es.

Jazz in E. ist traditionell das Festival am langen Himmelfahrtswochenende. In diesem Jahr fand es am Abend der Himmelfahrt seine buchstäblich musikalische Entsprechung: Gebannt saßen die Besucher im Konzert des Melt Trios, berührt von der irgendwie lakonischen, lebensfeiernden Melancholie dieser noch immer jungen Band, die leise klingt, selbst dann, wenn sie laut spielt. Dass der Klang dieses Trios unendlich glücklich macht, liegt vor allem wohl an Peter Meyer, der an der Gitarre unentwegt die warmblütigsten, noch nie gehörten Melodien aus dem Handgelenk schüttelt, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt.

Am Ende wurde es kämpferisch. Ernte – zwei in West-, ein in Ostdeutschland gebürtiger Musiker, ein Schweizer – spielten Arbeiterkampflieder. Das Material hatten sie in einem DDR-Musiklehrbuch für die Klassen 7 und 8 aus dem Jahr 1967 gefunden. Wer unter den alten Ossis im Publikum allerdings gehofft hatte, mal wieder richtig Agitprop schmettern zu können, wurde enttäuscht: Ernte verfremdete die Stücke teilweise bis zur Unkenntlichkeit: „Das Stück eben war von Hanns Eisler. Er hätte es wohl selber nicht wiedererkannt.“ Eindeutig und unverfremdet dagegen war die Botschaft der Band, mit diesem Programm ihren Teil zum Kampf gegen „Raubtierkapitalismus und Ökozid“ beitragen zu wollen.