jazzahead!
Bremen
Von York Schäfer. Peter Schulze, künstlerischer Leiter der jazzahead!, konnte zufrieden sein. Mit gut 17.000 Besuchern an den drei Musiktagen bewegte man sich 2018 auf hohem Niveau, noch 2011 waren es nur etwa 3500. Die jazzahead! hat sich seit ihrer Premiere 2006 mit ihrer Mischung aus Festival und Messe, globaler und lokaler Veranstaltung längst zum Durchlauferhitzer der internationalen Szene für improvisierte Musik in Deutschland gemausert.
Partnerland war in diesem Jahr Polen, ausgestattet mit reicher Jazztradition um Altmeister wie Krzysztof Komeda und Tomasz Stańko und einer international ausgerichteten zeitgenössischen Szene, die sich ihre Weltoffenheit auch von fremdenfeindlichen Tendenzen im Land nicht madig machen lässt. Für den Altsaxofonisten Maciej Obara zum Beispiel war der Jazz in Polen schon immer auch die Stimme der Freiheit. Zum Abschluss der Polish Night mit acht Konzerten in Messehallen und dem alten Schlachthof-Gebäude, war Obara Teil des frei und druckvoll aufspielenden Oktetts Power of the Horns um den Trompeter Piotr Damasiewicz. Eine dringliche Musik mit der erhabenen Strahlkraft von vier Bläsern, grundiert von zwei gnadenlos schrubbenden Kontrabässen. Einer der zwei Saitenmänner dort war Maksymilian Mucha, der auch im Trio der exzentrischen Pianistin und Electro-Fricklerin Joanna Duda spielt. Die junge Frau mit Stachelfrisur zwischen Punk und Rasta setzt auf einen von elektronischen Spielarten wie Ambient inspirierten Sound. In guten Momenten erinnert das an den Space Jazz eines Sun Ra, in den schlechten wabert der Sound konturlos vor sich hin. Insgesamt zeigte sich, dass viele polnische Musiker einen freien, unverkrampft dekonstruierenden und stilistisch offenen Zugang zur Jazzhistorie ihres Landes und darüber hinaus suchen.
Beim European Jazz Meeting zeigte sich laut Peter Schulze, dass der Trend aktuell wieder mehr in Richtung größerer Formationen geht. Eine gegenläufige Entwicklung zur strengen Reduzierung wie etwa beim weit verbreiteten Pianotrio. Die Beats & Pieces Big Band aus Manchester spielt als eingeschworene 14-köpfige Formation mit neun Bläsern und ungewöhnlichen zwei E-Gitarren auf. Eine immer noch junge Truppe im Turnschuh-Freizeitlook, Leiter und Gitarrist Ben Cottrell zählt die Takte auch mal lässig im Sitzen an oder dirigiert über die Bühne tänzelnd. Der Sound wechselt zwischen samtenen, eingängigen Melodien und ungeschliffen ruppiger Energie.
Mit ähnlich gutlaunigem Sound präsentierte sich das siebenköpfige dänische Horse Orchestra. Eine amüsante Truppe mit Kostümierungen, Umhängen und Sträuchern im Haar. Entsprechend farbenfroh ist ihre Musik: treibende Polkarhythmen, dramatische Beerdigungsmusik vom Balkan, druckvoller Swing im Stile alter New-Orleans-Marching-Bands. Man denkt an Charles Mingus mit seinen größeren Formationen.
Sämtliche Konzerte im Schlachthof konnte man auch draußen auf einer Leinwand am Amphitheater verfolgen. Eine gute Idee der Festivalmacher, auch um Menschen Zugang zum Jazz zu gewähren, die sich die Tickets nicht leisten können. Auch die Clubnight an 30 größtenteils gut besuchten Spielstätten im Bremer Stadtgebiet zeigte, dass Jazz wieder mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt.