jazzahead!

Bremen

© Guido Diesing

Von York Schaefer. Freitagnacht, jazzahead! 2023 – die Kesselhalle des Bremer Schlachthofs ist bis unters Dach besetzt, die Stimmung elektrisiert. Saxofonist Daniel Erdmann, groß, graue Haare, schwarzer Anzug, erinnert nicht nur optisch ein wenig an Nick Cave; würde der düstere Australier Jazz machen, könnte er genau so klingen. Eine Art psychedelischen Kammerjazz spielen Thérapie de Couple, eine Musik mit flächigen, atonalen Anteilen und fast klassischer Eleganz mit schwebenden melodischen Linien von Klarinette und Saxofon. Mit Théo Ceccaldi (viol) und Vincent Courtois (cello) spielt der im französischen Reims lebende Erdmann schon länger zusammen, in den freien, improvisierten Parts bearbeiten die beiden ihre Saiten mit erbarmungsloser Intensität. Thérapie de Couple – Paartherapie: Das Sextett thematisiert die komplexen, bisweilen krisenhaften deutsch-französischen Beziehungen. Vertrackt sind auch Erdmanns Kompositionen, sie driften auseinander, splitten sich in verschiedene Stränge auf, um dann spielerisch leicht wieder zueinanderzufinden. Die Band war eine der vier „Commissioned Works“, Auftragsarbeiten der jazzahead!, für die Musiker aus dem diesjährigen Partnerland Deutschland im Ausland neue Formationen mit neuem Programm zusammenstellen sollten. Ein zentraler und auch interessanter Programmpunkt der Messe mit Showcasefestival, die nach den deprimierenden Corona-Jahren laut Veranstaltern wieder mehr Zuspruch von Ausstellern und Publikum bekommen hat.

Insgesamt muss man aber sagen, dass Erdmanns Thérapie de Couple das mit Abstand beste der „Commissioned Works“ war. Die Band Lilith der in den USA lebenden Trompeterin Ingrid Laubrock kam nur schwer in Schwung, was ein Problem ist, wenn die Spielzeit der Konzerte auf 45 Minuten begrenzt ist. Heinrich von Kalnein (sax) und Jakob Helling (tp) spielten mit ihrem deutsch-österreichischen Oktett Alpine Air soliden Big-Band-Jazz alter Schule mit teils tollen Solisten und engagiert werkelnder Rhythmusgruppe. Aber wirklich zwingend war das ebenso wenig wie die mit renommierten Musikern wie Ben van Gelder (sax) und Pat Cleaver (b) besetzte Band Tree House des in Amsterdam lebenden Schlagzeugers Felix Schlarmann. Man darf gespannt sein auf die jazzahead! 2024, bei der die Niederlande mit ihrer sehr internationalen Jazzszene Partnerland sein werden.

Bleiben wir beim diesjährigen Partnerland jenseits der „Commissioned Works“: Nach der Verabschiedung der langjährigen künstlerischen Leiter Uli Beckerhoff und Peter Schulze mit erfreulich unaufgeregtem Auftritt von Till Brönner und Dieter Ilg bestätigte das Berliner Andromeda Mega Express Orchestra wieder einmal seine Qualität. Vielschichtige, betörende Musik zwischen Jazz, Krautrock und Ambient, ein dicht gewobener, flirrend perkussiver Sound, dringlich-fordernd oder lieblich schillernd. Der Geist von Sun Ra wehte mit.

Mit ähnlich genreübergreifendem Ansatz, aber ganz anders aufgestellt, arbeitet Conic Rose, ebenfalls aus Berlin. In Rockbesetzung plus Konstantin Döben (tp) verwebt das Quintett sphärische Dreampop-Elemente mit Drum & Bass-Beats und Ambient-Flächen. Ein eingängiger, satter Sound, der auch mal krachig sein kann, aber vielleicht einfach mehr als 30 Minuten Konzertzeit braucht, um echte Sogwirkung zu entfalten. Die erzeugte der Kölner Jonas Engel mit seiner Band Own Your Bones fast vom ersten Ton an. Ein Postpop-Vierer mit zwei Saxofonen, Kontrabass und Schlagzeug im kompakt zackigen Zusammenspiel mit vielen freien Improvisationen zwischen entspannt atmend und nach vorne drängend. Die wirbelnden Drums und dramatisch-heiligen Bläserbögen erinnerten an Albert Ayler. Musik, in der sich Swing und Schwere locker vereinten.