Jazzdor

Straßburg

© Peter Bastian

Von Peter Bastian. Trotz der Pandemie und obwohl immer mehr Veranstaltungsorte schließen, sei es wichtig, so Jazzdor-Leiter Philippe Ochem, groß zu denken und sich näherzukommen. Musiker und Publikum brachte er jetzt in der 37. Ausgabe von Jazzdor Strasbourg wieder zusammen, genauso wie seit 2007 in Berlin und ab März 2023 auch in Budapest.

Schon vor 35 Jahren spielte Dave Holland solo in der Kneipe Ange d’Or, wo das Festival Jazzdor seine Anfänge nahm. Die 37. Ausgabe eröffnete das neue Quartett des legendären Bassisten mit Lionel Loueke (g), Chris Potter (sax) und Eric Harland (dr) mit einem Paukenschlag. Schon im ersten Stück griffen die vier Virtuosen in die Vollen. Das abschließende „Sleepless Night“ sprengte schlichtweg das Gehirn und ließ das Publikum sprachlos zurück.

Auch die Nachmittagskonzerte im Rahmen von Jazz Migration in der Cité de la Musique et de la Danse hatten Interessantes zu bieten. Jazz Migration bietet jungen Musikern an den Randbereichen des Jazz die Möglichkeit aufzutreten. Mit Bratsche, Gitarre, Bassklarinette und dreistimmigem Gesang spielte das Trio Suzanne eine schöne Kombination aus Folklore, Barock und Jazz. Psychedelik und knallharten Rock auf Harfe, Querflöte und Schlagzeug hatten die drei Frauen von Nout zu bieten. Die sehr hörenswerte Musik von Cocolite mit Keyboards, Bass, Drums und viel Elektronik ist zwischen Rockjazz und Bombastrock angesiedelt.

Immer wieder überraschend ist, welch neue Aspekte des Jazz Philippe Ochem seinem Publikum zu bieten hat. David Chevallier (g), der schon die Songs von Björk mit alten Instrumenten kombiniert hat, hat sich jetzt die Musik von Henry Purcell vorgenommen. Was er im Vorprogramm der Killing Popes mit drei Sänger*innen (Elise Dabrowski, Anne Magouët und David Linx) dem Publikum präsentierte, war sensationell und ergreifend. In Songs wie „If Music be the Food of Love“ oder „I attempt from Love’s Sickness to Fly“ hielt Chevallier alles behutsam zusammen und bezauberte die Zuhörer. Schöner Kontrapunkt dazu, weil krachend, laut und immer wieder faszinierend: Oli Steidles Killing Popes – wie schon in Berlin mit den Gästen Marc Ducret und Claudia Solal.

Auch der Sonntag des Eröffnungswochenendes hatte ein paar Perlen im Angebot. T.I.M. mit Sébastien Palis (p, synth), Helga Myhr an der Hardanger-Geige und Karoline Wallace an der Elektronik faszinierten mit ihrer Mischung aus Folklore, Minimalismus und Jazz. Immer, wenn man meint, es sei keine Steigerung mehr möglich, setzen KUU aus Berlin noch eins drauf. Die Sängerin Jelena Kuljić, die beiden Gitarristen Frank Möbus und Kalle Kalima und der Drummer Christian Lillinger hauen einen immer wieder vom Hocker. Auch das französische Publikum nahm die Band sehr gut an.

Lady Macbeths Monolog aus dem 5. Akt von Macbeth ist das Thema der Mini-Kammeroper Lady M von Marc Ducret (g), das er mit einem elfköpfigen Ensemble inklusive Sopranistin und Countertenor in Straßburg aufführte. Da gab es sehr spannende Jazz- wie Klassikmomente. FiL, eine Woche später, ist die aufregende Kombination von Leïla Martials Stimme und Valentin Ceccaldis Cello. Ihre langsame Version von „All My Loving“ von den Beatles war zum Verlieben. Wie ein Schamane mit Fußglöckchen ist Kahil El’Zabar schon immer aufgetreten. Auch der Auftritt seines Quartetts bei Jazzdor hatte etwas Menschenfängerisches. Man bekommt ihn hierzulande selten zu sehen, deswegen hatte man vielleicht vergessen, was für ein hervorragender Drummer er ist. Nach Coltranes „Resolution“ gingen jedenfalls alle glücklich nach Hause.