NUEJAZZ

Nürnberg

© Leon Greiner

Von Christoph Giese. Mathias Eick sieht glücklich aus. Das Publikum bejubelt ihn und seine gefühlvolle, hymnisch verträumte, aber rhythmisch auch mal zupackende Musik. Seine beseelten Trompetenklänge kommen bestens an. Nach so viel Emotionalität hätte es das Julian Lage Trio im Anschluss schwer haben können, den ausverkauften großen Saal des Festival-Hauptspielortes, der Kulturwerkstatt Auf AEG, noch einmal so in Stimmung zu bringen. Aber dem US-Gitarristen und seinen starken Partnern Jorge Roeder (b) und Eric Doob (dr) gelingt es im Handumdrehen, das Publikum weiterhin zu einem dauerhaften Lächeln zu bringen. Ohne Kraftmeierei und dicke Klangwolken kommt Lage charismatisch rüber, verzückt mit seinen Klangbildern und Improvisationen, die trotz aller Reminiszenzen an die Musikgeschichte doch immer nach ihm selbst klingen.

Das NUEJAZZ-Festival setzt auch auf hier noch unbekannte Namen. Oder schon mal vom Balimaya Project oder dem Neue Grafik Ensemble gehört? Beide sind in London beheimatet. Beim zehnköpfigen, von mehreren Perkussionisten angetriebenen Balimaya Project basiert der groovende Afro-Jazz auf der traditionellen Mande-Musik Westafrikas. Saxofon und Trompete tupfen jazzige Noten, die Kora erinnert an die Wurzeln. Bandleader Yahael Camara Onono, Perkussionist mit westafrikanischen Wurzeln, kreiert mit seiner Truppe Unterhaltsames mit Dancefloor-Tauglichkeit. Neue Grafik nennt sich der afro-französische Keyboarder, House-DJ und Produzent Fred N’Thepe, der mit seinem Ensemble, angeschoben von treibenden Broken Beats des Schlagzeugs, einen funkigen, energiegeladenen NuJazz spielt, der das Genre nicht neu erfindet, aber live in Nürnberg doch viel Spaß macht.

Auch das vor sechs Jahren von der britischen Altsaxofonistin Cassie Kinoshi gegründete Ensemble Seed ist zehnköpfig. Blue-Note-Sounds treffen auf Soul, Afro und treibende Grooves. Die Bandleaderin hat die Musik ausgeklügelt, manchmal fast klinisch unterkühlt arrangiert und überlässt mehr ihren Musikern das Feld für Soloausflüge, als dass sie selbst Glanzpunkte setzen muss. Songs mit politischen Botschaften – auch das ist der knapp 30-Jährigen wichtig. So klingt manches wütend, auch durch die Wucht der sechs Bläser, und bleibt doch immer in der Spur. Sängerin und Musikerin Melanie Charles ist dagegen eine echte Rampensau. Wie die US-Amerikanerin mit haitianischen Wurzeln Originale etwa einer Dinah Washington oder Abbey Lincoln aufgreift, mit deren Samples spielt und sie dann mit ihrer Riesenstimme, angetrieben von Drummer und Keyboarder, in die Neuzeit überführt und so ganz anders interpretiert – das ist hip. Der Mix aus Jazz, Soul und ein wenig Karibischem verfehlt seine Wirkung nicht beim erfreulich jungen Publikum im Z-Bau, dem zweiten und größten Spielort des Festivals.

NUEJAZZ 2022 machte richtig Spaß, auch mit seinem London-Schwerpunkt. Und mit Entdeckungen, die junge Leute in großer Zahl anlockten, vor allem an den letzten beiden Festivaltagen. Und dabei war der geplante Topact Yussef Dayes nicht einmal da. Der angesagte britische Drummer musste aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Die Festivalmacher Frank Wuppinger und Marco Kühnl, beide selbst professionelle Musiker, haben ein spannendes Festival entwickelt, das mit einigen Gratiskonzerten und einem Nachmittag für Kinder neue Interessierte zum Jazz lockt. Im kommenden Jahr feiert NUEJAZZ seinen 10. Geburtstag – und darf sicher voller Zuversicht in die Zukunft schauen.