In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

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Arild Andersen Group

Affirmation

ECM / Universal

4 Sterne

Vor gut einem Jahr war Arlid Andersen mit Saxofonist Marius Neset, Pianist Helge Lien und Schlagzeuger Håkon Mjåset Johansen im Osloer Rainbow Studio verabredet. Was nicht geplant war: ECM-Mastermind und Executive Producer Manfred Eicher konnte aufgrund der seinerzeit in Norwegen herrschenden pandemiebedingten Reisebeschränkungen nicht an den Sessions teilnehmen. Was auch nicht geplant war: Am zweiten Studiotag schlug der 77-jährige Bassist, nachdem das vorbereitete Material aufgenommen war, seinen einige Generationen jüngeren Mitmusikern (Lien und Johansen sind Jahrgang 1975, Neset ist Baujahr 1985) vor, doch einfach mal ganz frei zu improvisieren. Die beiden dabei entstandenen 23 und 14 Minuten langen Stücke bilden nun als „Affirmation Part 1“ und „Affirmation Part 2“ den größten Teil des neuen Albums. Introspektiv und tastend hebt Ersteres mit einer Bassfigur von Andersen an, aus der sich ein lyrisches Trio mit Lien und Johansen entwickelt, das vor dem inneren Auge durchaus landschaftliche Bilder evozieren mag, die der von Lien fotografierten Eiswüste auf dem Cover entsprechen. Neset erweitert den Horizont durch tenorale Klangfarben und rhythmische Phrasierung. Während der rhapsodische Spannungsbogen hier in einem Finale kulminiert, ist „Affirmation Part 2“ von Beginn an lebhafter angelegt, gipfelt in einem kurzen Mittelteil voller knisternder Interplay-Momente, um in einem elegischen Schlussteil auszuklingen. Höchstmelodisch dann der Ausklang mit „Short Story“: enorm kantabel und fast auch ein wenig pomadig – wie eine weihnachtliche Hymne.

Harry Schmidt

Jako Organ Trio

Safe Place

QFTF / Galileo

4 Sterne

Das Orgeltrio ist eine Besetzung, deren zeitlos cooler Sound es dem Berliner Gitarristen Iakovos Symeonidis angetan hat. Mit dem griechischen Organisten George Kontrafouris hat er genau den richtigen Spezialisten dafür an Bord, denn dessen schwebende und bluesige Klänge ergänzen sich punktgenau mit dem wunderbaren Ton des Gitarristen – Dritter im Bunde ist der Schlagzeuger Giannis Papadoulis. Neben Symeonidis’ Originalen, die direkt an so manche Klassiker etwa von Grant Green anzuknüpfen scheinen, hat der Gitarrist auch ein paar originelle Cover-Versionen im Repertoire. Einen Jazz-Standard wie „Lover Man“ spielt das Trio hingebungsvoll, McCoy Tyners berühmter „Man from Tanganyika“ gerät zu einem Blues-Monster. An die Soul-Tradition des Genres knüpfen zwei weitere Songs an: Donny Hathaways „Little Ghetto Boy“, das unter anderem dessen Tochter Lalah vor ein paar Jahren gesungen hat, wird zur Spielwiese für die funky licks und den melodischen Reichtum des Gitarristen und „Freddie’s Dead“ von Curtis Mayfield spielt ausgiebig mit dem hypnotischen Bass-Riff des Originals, Symeonidis und Kontrafouris nutzen es für lässige Solo-Ausflüge in manchmal atemberaubender Geschwindigkeit. Ein Album, dessen Wärme ans Herz geht.

Rolf Thomas

Ganna

Home

Berthold / Cargo

4 Sterne

Es ist eigentlich bitter, dass die wunderbare Musik der Ukraine ohne den furchtbaren russischen Angriffskrieg vermutlich nicht annähernd so viel Wahrnehmung erfahren hätte, dabei verdienen die wunderbar bearbeiteten Volkslieder sowohl von Leléka als auch ihrer Landsfrau Ganna Gryniva viel Beachtung. Letztere hat für Home acht ukrainische Melodien bearbeitet und für Jazzbesetzung arrangiert. In ihrer Band sind Musina Ebobissé aus Frankreich am Saxofon, der schwedische Pianist Povel Widestrand, der auch in der Band der ukrainischen Sängerin Viktoria Leléka dabei ist, Tom Berkmann am Kontrabass und Mathias Ruppnig am Schlagzeug. Die ukrainischen Volkslieder bestechen durch eine schlichte, aber immer eindrucks- und kraftvolle Melodie, die behutsam arrangiert und für den Soloteil geöffnet wurden, damit sich vor allem Klavier und Saxofon ausleben können. Ergreifend ist „Kalyna“, das zu Kriegsbeginn von einem Soldaten vor einer Kirche gesungen wurde und viral ging. Das alte Lied ist entstanden, um mittelalterliche Bogenschützen motiviert zu halten. Ganna Gryniva hat sich für eine sehr schlichte Version entschieden und trägt ihre Fassung nur von Schlagzeug begleitet vor. Home ist ein besonderes Album, die starke Stimme von Ganna Gryvnia und die Jazzarrangements verschmelzen und geben den ukrainischen Volksliedern eine neue Richtung. Sehr hörenswert!

Angela Ballhorn