Jazzfest

Berlin

(c) Stefanie Marcus

Von Rolf Thomas. Wenn man die Vorstellung von Jazz, die Nadin Deventer, die künstlerische Leiterin des Berliner Jazzfests, hat, erst einmal akzeptiert hat – Jazz ist vor allem Free Jazz und Avantgarde aus Berlin, Chicago und New York –, konnte man auch bei der Jubiläumsausgabe (es war die sechzigste) viel Spaß haben.

(c) Stefanie Marcus

Ein Höhepunkt war die Auftragskomposition, die das Jazzfest an den US-amerikanischen Saxofonisten Henry Threadgill vergeben hatte und die dieser seinem Quintett Zooid sowie der zehnköpfigen Formation Potsa Lotsa XL der Berliner Saxofonistin Silke Eberhard auf den Leib geschrieben hatte. Die fünfzehn Musiker*innen brannten ein rhythmisch komplexes Feuerwerk ab, das mit Soli gespickt war, die mit der üblichen Phrasen-Litanei oder dem Ritt durch die Skalen, die wir Coltranes „Giant Steps“ zu verdanken haben, nichts zu tun hatten. Threadgills Musik ist extrem individualistisch, und das machten sich Musiker wie der Klarinettist Jürgen Kupke oder der Tubaspieler José Davila – und natürlich auch Threadgill und Eberhard selbst – zunutze.

Auch Eve Rissers Red Desert Orchestra überzeugte: Die französische Pianistin setzte auf einen sanftmütig hypnotischen Sound, der stark von den Hié-Schwestern am Balafon geprägt wurde. Albert-Mangelsdorff-Preisträger Conny Bauer musste eine Menge Ansprachen von Funktionärslemur*innen über sich ergehen lassen, bei denen man sich sicher sein konnte, dass sie seinen Namen bis vor einer Woche noch nie gehört hatten, ehe er die Trophäe aus den Händen Manfred Schoofs entgegennehmen konnte. Das Preisträgerkonzert des Posaunisten zeigte seine einsame Klasse an der Seite von Schlagzeuger Hamid Drake und Bassist William Parker.

(c) Stefanie Marcus

Eine lustvolle Erfahrung war die Chicago-Nacht Sonic Dreams, in der der Trio-Auftritt des legendären Saxofonisten Ari Brown mit Joshua Abrams (b) und Ben LaMar Gay (dr) der Höhepunkt war und Abrams später noch an der Gimbri ein Großensemble mit Trompeter Axel Dörner und Saxofonistin Anna Kaluza leitete, das mit seinem tranceartigen Sound bestens in die Freitagnacht passte. Natürlich gab es auch Konzerte, die nicht so großartig waren: Gitarristin Mary Halvorson und Pianistin Sylvie Courvoisier wirkten müde (sie waren auch am Ende einer Tour), das spannende Projekt der ägyptischen Theremin-Spielerin Nancy Mounir – sie hangelte sich an den Songs und Lebensläufen ägyptischer Sänger*innen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts entlang – litt ein wenig unter der langweiligen Musik, die ihr dazu eingefallen war, und daran, dass wohl kaum jemand im Publikum so richtig verstanden hatte, worum es eigentlich geht. Fred Frith brauchte im Trio mit Mariá Portugal und Susana Santos Silva (zu) lange, um in Fahrt zu kommen, und die Songs, die sich die Schwedin Ellen Arkbro ausgesucht hatte, waren reichlich einschläfernd – alles in allem aber war das Programm Deventers, die auch das nächste Jazzfest gestaltet, eine runde Sache und endete mit dem Bossa Nova von Joyce Moreno auf einer überraschend fröhlichen Note. 2024 wird das Jazzfest sechzig Jahre alt, und man könnte Courtney Pine, Diana Krall und Neneh Cherry einladen – die werden nächstes Jahr ebenfalls sechzig.