Kinga Głyk

© Peter Hönnemann

Große Fragen – groovende Antworten

Vier Jahre nach dem Vorgängeralbum Feelings erscheint mit Real Life die dritte Veröffentlichung der Bassistin Kinga Głyk bei einem Major-Label. Kein schlechter Output für eine Musikerin, die im Januar ihren 27. Geburtstag feiert.

Von Thomas Bugert

Vier Jahre sind im schnelllebigen Musikbusiness eine sehr lange Zeit. Wie im Booklet der CD zu lesen ist, war es auch eine Zeit, in der die Komponistin sich viele Gedanken darüber machte, was es heißt, eine Musikerin zu sein. Eine Frage, die Głyk noch heute beschäftigt. „Es ist schwer zu sagen, ab wann man ein Musiker ist. Wenn du Musik lesen kannst? Wenn du komponieren kannst? Wenn du unterrichtest oder produzierst? Es ist wichtiger, sich zu verbessern und authentisch zu sein, als einen genauen Punkt zu erreichen. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, einen Punkt zu erreichen, an dem man sagen kann: Jetzt weiß ich genug und bin ich gut genug. Da ich vierundzwanzig Stunden am Tag mit Musik verbunden bin, ist sie ein Teil von mir, den ich nicht abtrennen kann. Wenn die Musik wegfällt, fühle ich mich nicht ganz als ich selbst. Ich kann mich kaum an Zeiten erinnern, in denen Musik nicht Teil meines Lebens war. Mein Vater ist Musiker, und wir hatten eine Familien-Band, seit ich zwölf Jahre alt war. So habe ich mich schon früh mit dem Bass und der Musik verbunden“, erzählt sie und ergänzt, wie schwierig es manchmal ist, wenn das persönliche Selbstwertgefühl so sehr mit der Profession verbunden ist.

Eine zweite wichtige Frage schwingt im Titel des Albums mit. Es ist die Frage, was das wahre Leben ist. „Ich merkte, dass wir heute durch soziale Medien zum Teil in keiner realen Welt leben. Wir vergleichen uns selbst so sehr mit anderen Menschen in der Social-Media-Welt. Wir kennen ihr Leben nicht und wissen nicht, ob die Posts wahr sind. Manchmal kann uns das in eine Welt führen, die unsere Kreativität blockiert.“

Für das neue Album holte sich die Musikerin den Produzenten Michael League mit ins Boot, der unter anderem als Bandgründer von Snarky Puppy bekannt ist. „Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, jemanden außerhalb der Band zu haben, der die Musik anders hört. Manchmal ist man zu sehr verbunden mit dem, was man im Augenblick macht, und es ist schwierig, die Musik mit einer objektiven Distanz zu hören“, berichtet Głyk über die Zusammenarbeit.

Mit League stellte sie sich im Vorfeld viele Fragen. Unter anderem auch die Frage nach der Umgebung, in der Real Life am besten angehört werden könnte. „Ich glaube, die Musik ist nicht unbedingt Dinner-Musik, bei der du eine ruhige Unterhaltung führen möchtest“, meint sie dazu. „Vielleicht eher in einem Raum sitzend oder während des Reisens, wenn man Zeit hat, der Musik zu folgen.“

Das Album entstand, entsprechend dem Titel Real Life, organisch in einem Bandkontext. Basierend auf Demoaufnahmen, die meist der Reflexion des Alltags oder dem Üben und Ausprobieren entsprangen und die das Skelett der Songs bildeten, entstanden die finalen Versionen in der Zusammenarbeit mit der Band. „Man muss offen sein und den Mitmusikern vertrauen. Wenn wir unsere Emotionen von unserem Handwerk trennen, ist es weniger schmerzhaft, wenn Leute es diskutieren“, erklärt die Komponistin diesen Prozess. Zum realen Leben gehört mittlerweile auch eine globale Arbeitsweise. So wurden die fertigen Stücke teilweise an Gastmusiker geschickt, die zusätzliche Stimmen einspielten.

© Emily Turkanik.

Zur Entstehung des Stücks „Fast Life“ erzählt Głyk: „Der Song entstand, als ich über Fast Food nachdachte. Darüber, wie jeder alles sofort haben will, und selbst dann sind wir manchmal frustriert. Selbst zu schnell ist nicht schnell genug. Ich denke, es ist wichtig, eine Balance zu finden und zu verstehen, dass superschnell im Leben nicht immer gleichbedeutend mit superproduktiv ist. Es hat lediglich den Anschein. Aber wenn man tiefer darüber nachdenkt, ist die seelische Gesundheit das Wichtigste. Daher sollte man auf sich achtgeben.“

Eher spielerisch entstanden Stücke wie „Swimming in the Sky“, das im Fluss ist, aber nicht unbedingt immer den vertrauten Taktschemen entspricht. „Als ich diesen Song geschrieben habe, hatte ich die Idee, ohne vorgegebene Struktur, Taktart oder andere Vorgaben zu komponieren. Ich habe die Musik nicht analysiert, sondern so gespielt, wie es sich für mich gut angefühlt hat.“

Dass das zunächst nicht unbedingt auffällt, liegt zum großen Teil am Flow der Musik und den Kontrasten, die organisch überraschen. Nicht zuletzt sind Groove-Orientierung und Spielfreude wichtige Eckpunkte des Albums. So meint Głyk auch: „Ich freue mich darauf, wieder live zu spielen. Ich möchte Menschen live treffen und Musik auf einer Bühne spielen. Das ist ganz anders, als im Studio zu sein oder Videos zu produzieren. Ich möchte mit Menschen zusammen sein, mit ihnen live Musik kreieren und dabei den Fokus auf das Ganze haben.“

Aktuelles Album:

Kinga Głyk: Real Life (Warner Music)