Jazzfest

Bonn

Ida Nielsen & the Funkbots @ Jazzfest Bonn 2023

Von Thomas Kölsch. Grenzüberschreitungen sind dem Jazz nicht fremd – in gewisser Weise sind sie sogar elementarer Bestandteil der musikalischen DNA und die Grundlage für so manche Mutation. Und doch gelang es dem Jazzfest Bonn eindrucksvoll, diesem Begriff neue Facetten hinzuzufügen und ihn vielleicht nicht neu, aber doch anders zu denken. Auf jeden Fall waren die zehn Doppelkonzerte, ergänzt um einen Soloauftritt von Brad Mehldau, dank kreativer Konstellationen immer wieder für Überraschungen gut.

Schon der Eröffnungsabend stellte die Frage, wie weit sich der Begriff Jazz inzwischen spannen lässt, und beantwortete sie mit Musik, die sich allen Schubladen verweigert. Pianist Florian Weber nahm zusammen mit dem Dogma Chamber Orchestra einzelne Motive Johann Sebastian Bachs als Ausgangspunkt für eine eigenwillige Übertragung barocker Ideen in moderne Formsprache, während Fanta-4-Ikone Thomas D zusammen mit The KBCS seinen poetisch-prophetischen Texten einen Vintage-Ambient-Sound verlieh. Beides funktionierte, wenn auch nicht immer reibungsfrei. Weber trieb sowohl das Dogma Chamber Orchestra als auch Gastsolistin Anna-Lena Schnabel (fl) in repetitive Disharmonien, und die fast schon messianische HipHop-Attitüde des „Reflektorfalken“ sorgte bei einzelnen Besuchern für Unmut. Andererseits setzten beide Konzerte immer wieder faszinierende Akzente – und das war erst der Anfang.

Der Brückenschlag des musikalischen Diskurses setzte sich in den folgenden Tagen auf vielfältige Art fort. Während Vladyslav Sendecki (p) und Jürgen Spiegel (dr) die Harmonie des gemeinsamen Nenners fanden und daraus einen überaus lyrischen Dialog schufen, setzten Kit Downes, Petter Eldh und James Maddren im Trio ENEMY auf Gegensätzliches, auf aus dem Eigensinn geborene Kontraste, die sich ergänzten und doch zugleich die größtmögliche Unabhängigkeit ermöglichten. Thärichens Tentett spielte mit der Skurrilität, das Jacob Karlzon Trio mit der Fusion aus skandinavischem Pianojazz und elektronischen Elementen, Delvon Lamarr mit der Kraft der Motown-Ära. Atemberaubend das Zwiegespräch der beiden jungen Ausnahmetalente Jakob Manz und Johanna Summer ebenso wie der Streicher-Groove des Atom String Quartet, das selbst Krzysztof Penderecki swingen ließ. Mariá Portugal verbeugte sich vor Udo Moll und der Macht der Stille, bis sie diese wieder brach. Julia Hülsmann versammelte sieben Individualist*innen.

Neben den Grenzüberschreitungen zogen sich zwei weitere Themen wie ein roter Faden durch das Jazzfest: Prince und das Piano. Ersteren wollte Intendant Peter Materna durch Musiker*innen aus dem Dunstkreis des Megastars erlebbar machen, was mit Judith Hill ganz gut und mit Bassistin Ida Nielsen nur mäßig gelang (Letztere erwies sich leider nicht als überzeugende Sängerin und Songwriterin). Das Piano wiederum war mehrfach präsent, besonders im Doppelkonzert von Simon Nabatov, der mit dem Matthias Schubert (sax) und Ralph Alessi (tp) zwei Avantgardisten an seine Seite holte, die die Hörgewohnheiten ordentlich durcheinanderwirbelten. Schubert erwies sich als experimentierfreudig und entsagte immer wieder der Tonalität, um zu schnarren, zu schnauben, zu fauchen und zu prusten, immer auf der Suche nach einer Verbindung zwischen dem Reich der Musik und dem der Geräusche. Womit der Bogen zu den Grenzüberschreitungen geschlagen wäre, über die man sich manchmal wundert – aber ohne die der Jazz schnell langweilig würde.