© Frank Schindelbeck

Magnet-Festival

Wiesbaden

Von Stefan Michalzik. „Innovative Musik“ hat sich das neue Magnet-Festival im Kulturpark am Wiesbadener Schlachthof zum Programm gemacht. Traditionsbildung ist selbstredend auch im zeitgenössischen improvisatorischen Musizieren manifest. Gleichwohl zielt der Anspruch vieler Musikerinnen und Musiker weiter auf eine Arbeit am Fortschritt – selbst wenn es einer im Krebsgang sein sollte.

Die estnische Pianistin Kirke Karja etwa beschäftigte sich auf das Großartigste mit Hindemiths Kontrapunktstudienzyklus Ludus tonalis (1942) in einem steten Schwanken zwischen Textnähe und Freizügigkeit. Von einer irisierenden Faszinationskraft war die atmosphärische Dichte der Erstbegegnung zwischen den beiden Vibrafon- und Marimbaspielern und Perkussionisten Evi Filippou und Jim Hart. Das Schweizer Quartett The Great Harry Hillman – Nils Fischer (b-cl), David Koch (e-g), Samuel Huwyler (e-b) und Dominik Mahnig (dr) – praktiziert eine weiträumige exzessiv-brachiale Kollektivmusik.

Einen Tiefpunkt markierte das Duo um die dänische Bratschistin, Elektronikmusikerin und Sängerin Astrid Sonne und Vanessa Bedoret (v, e-g) mit seiner ins Wesenlose tendierenden Mischung aus lieblichem Popsong, Dance Beats und aufgesetztem Avantgardefusel. Auch die drei Frauen des britischen Vokaltrios Skylla brachten nicht mehr als kunstvolle vokalimprovisatorische Langeweile auf Folkbasis. Ansehnlich hingegen das britische Trio Still House Plants um die bluesverwurzelt improvisierende Sängerin Jessica Hickie-Kallenbach: eine Art dekonstruktivistische Ausgabe von Bessie Smith & Co. Immer eine sichere Bank ist der englische Trompeter Peter Evans, der mit einer schier fantastischen technischen Finesse die Grenzen seines Instruments weitet.

Der Festival-Schwerpunkt galt dem Briten Dan Nicholls. Als spektakulär verrenkt-verquer irrlichternder Electronica-Soundwizard schlug er im Trio mit dem grandiosen Schlagzeuger Julian Sartorius und der visuellen Künstlerin Lou Zon hochoriginell in die 90er-Jahre-Kerbe um das Label Warp. Eine weitere Attraktion des elektromusikalischen Teils waren die Waliserin Elvin Brandhi (auch Gesang) und der Deutsche Ludwig Wandinger (auch Schlagzeug) mit einem düster-noisigen Schrei- und Sampler-Horrortrip von erheblicher dramatischer Wucht. Die Band Y-Otis hingegen um die beiden Schweden Otis Sandsjö (sax) und Petter Eldh (b, synth) sowie erneut Nicholls (keyb) und Tilo Weber (dr) wartete mit einer avanciert-süffigen Funkyness auf.

Druckvoll nach vorne weg in einem durchaus althergebrachten Free-Stil agierten die dänische Altsaxofonistin Mette Rasmussen und ihr famoses Trio North mit Ingebrigt Håker Flaten (b) und Olaf Moses Olsen (dr). Stichwort Innovation: Knietief in einer retroavantgardistischen Tradition (Albert Ayler) steckt das Quartett des portugiesischen Trompeters Luis Vicente mit John Dikeman (ts), Luke Stewart (b) und Onno Govaert (dr) mit seinem prächtigen kollektiven Powerplay in einer frappierenden Ungestrigkeit. Seine Raison d‘Être hat dieser hocherfreuliche Neuzugang in der Festivallandschaft in jedem Fall bewiesen.