Jazzkaar

NOËP © Laura Palling

Tallinn

Von Angela Ballhorn. „Kuula Jazzi!“ heißt nicht „Cooler Jazz“, es bedeutet „Ich höre Jazz“ und findet sich als Slogan auf den T-Shirts der diesjährigen Jazzkaar. Lieber mal keine Jahreszahl, dachte sich das Team, denn bis zum letzten Moment war coronabedingt nicht sicher, ob das seit 31 Jahren bestehende Festival überhaupt würde stattfinden können. Wöchentlich änderten sich die Auflagen, doch am Ende gab es sowohl glückliche Gesichter bei den Organisatoren als auch Zuschauer, die überwältigt weinten, weil sie endlich wieder Live-Musik hören konnten.

Da kaum Musiker einreisen durften, war das Festival in erster Linie mit estnischen Bands bestückt. Das als skandinavische Supergroup angekündigte Trio Rymden – neben Silje Nergaard die einzige skandinavische Band, die nach dem Ausfall der Dirty Loops spielen konnte – war selbst total überwältigt. Am Vorabend hatten Bugge Wesseltoft, Dan Berglund und Magnus Öström noch vor 50 Zuschauern in Stockholm gespielt, in Tallinn wartete der große Saal auf die drei, die ihre neue CD mit viel Spielfreude präsentierten.

Das Festival eröffnet hatte Kristjan Randalu, in Deutschland neben Kadri Voorand der wohl bekannteste estnische Jazzmusiker. Er trat mit dem Sänger Vaiko Eplik auf, die Kooperation mit guten Songs und Improvisation funktionierte wunderbar. Gesang hat in Estland einen sehr großen Stellenwert, von daher war der hohe Anteil der Bands mit Sängern nicht verwunderlich. Kadri Voorand stellte ein überragendes neues Programm mit Streichquartett vor, Liisi Koikson bezauberte mit ihren Liedern in großer Besetzung. „Er kultiviert elektronische Indie-Pop-Musik“, sagt Wikipedia über NOËP. Für die Jazzkaar beschränkte sich der Künstler auf Klavier und Gesang. Das funktionierte bestens, und selbst für Esten war überraschend, wie gut NOËP Klavier spielt.

Free Musketeers – Jan Kaus © Siiri Padar

Silje Nergaard spielte im Duo mit ihrem Pianisten Espen Berg, einer wahren Entdeckung. Der Musiker schafft es, ein ganzes Orchester aus dem Klavier zu zaubern. Die Free Musketeers um die Kontrabassistin Mingo Rajandi sind eine freche freie Formation mit Poetry Slam, Theatralik und Jan Kaus als Rampensau. Drummer Ramuel Tafenau ist einer der neuen Shooting Stars der estnischen Jazzszene. Er präsentierte sein neues Album Gather Around. Das Trio Sooäär-Yaralyan-Ounaskari bewies, dass seine Musik nicht nur auf CD beeindruckt, sondern auch auf der Bühne überzeugt.

Eine Entdeckung des Festivals war die junge Souldiva Rita Ray. Ausgereifte Kompositionen, eine fantastische Band und eine für diese Musik wie gemachte Stimme begeisterten. Ähnlich im Musikstil, aber ohne Gesang, war die JT Conception zwischen Tower of Power und Snarky Puppy anzusiedeln. Der deutsche Pianist Niklas Paschburg zeigte ein interessantes Konzept: Er wechselte mit seiner eigenwilligen Musik blitzschnell in seinem Instrumentensammelsurium zwischen akustischer und elektronischer Musik.

Raul Ukareda setzte Jimi Hendrix’ Album Band of Gypsys mit viel Power ein Denkmal. Den Abschluss der Jazzkaar bildete ein Multimedia-Happening. Raun Juurikas hat Bilder und Sounds der Antarktis in Kompositionen verwandelt, die vom norwegischen Trompeter Arve Henriksen, dem Schweizer Perkussionisten Brian Quinn und einem Kammerchor umgesetzt wurden.

Das Festival war trotz vieler Unwägbarkeiten ein großer Erfolg – auch von den Besucherzahlen her. Die Menschen sind hungrig nach Live-Musik, und Jazzkaar hat eine Menge davon in höchster Qualität auf die Bühne gestellt. Kuula Jazzi!