Jazzopen

Stuttgart

Chilly Gonzales © Reiner Pfisterer

Von Jochen Reuter. „Music is back!“, schleudert Chilly Gonzales dem Stuttgarter Publikum mit seiner ersten Zugabe entgegen. Und im Innenhof und den Renaissance-Arkaden, die das Alte Schloss zu einer der schönsten Konzertlocations der Landeshauptstadt machen, brandet ein Orkan einhelliger Zustimmung auf: Genau! Endlich wieder Livemusik! Endlich wieder Jazzopen! Da stört es auch kaum, dass Gonzales und das Kaiser Quartett ziemlich genau das Programm auf die Bühne bringen, das sie vor zwei Jahren an selber Stelle zum Besten gegeben hatten. Warum auch? Schließlich funktioniert seine post-ironische Kammermusik noch genauso gut wie seine Inszenierung als genialischer Charismatiker am Konzertflügel – natürlich im Bademantel, diesmal in dunkelromantischem Schwarz. Mit der dänischen Pianistin Kathrine Windfeld hatte zuvor einer der wenigen Acts im Festivalprogramm, die vollumfänglich dem Genre Jazz zuzuordnen waren, für einiges Aufhorchen gesorgt. Ihr Sextett bietet mehr, als die Formel Klaviertrio plus Bläsersatz vermuten lässt, ihr Modern Jazz ist auf der Höhe der Zeit und wagt auch mal einen Ausbruch in freiere Gefilde.

Als Jazzopen-Promoter Jürgen Schlensog im April ankündigte, das für Juli geplante Nachholfestival von 2020 erneut um ein Jahr zu verschieben, dafür aber – gewissermaßen als Ersatz – im September ein neu programmiertes Festival spielen zu wollen, wäre wohl nur ein Bruchteil der Besucher davon überzeugt gewesen, dass es auch wirklich so kommt. Doch nur wer wagt, kann auch gewinnen. Das Risiko, allen Unwägbarkeiten zum Trotz eine Durchführung zu planen, hat sich ausgezahlt: Als deutschlandweit einziges Festival dieser Größenordnung konnten die Jazzopen 2021 vor einem Livepublikum stattfinden, 18.000 Besucher erlebten in zehn Tagen 20 Konzerte auf zwei Bühnen. 3G-Nachweiskontrolle, Kontaktdatenerhebung und Maskenpflicht waren die wesentlichen Bausteine des Hygienekonzepts. Genauso wie der Verzicht auf ein Clubprogramm im Bix.

Katie Melua © Reiner Pfisterer

Imelda May © Reiner Pfisterer

Sophie Hunger © Reiner Pfisterer

Parov Stelar © Reiner Pfisterer

Hinzu kam die Entscheidung, lediglich die Hälfte der rechtlich möglichen Auslastung freizugeben. Während die reduzierte Kapazität von 600 Personen im Alten Schloss an jedem der fünf Abende an ihre Grenzen stieß – allen voran bei Katie Melua, aber auch bei Element of Crime, Mario Biondi und den Soul Diamonds XXL hieß es „ausverkauft“ –, wirkte die für 5000 Besucher ausgelegte Bühne auf dem Schlossplatz an manchem Abend etwas überdimensioniert. Dennoch hinterließ jeder bleibenden Eindruck: Der verblüffende Facettenreichtum der Schweizerin Sophie Hunger, einer Songpoetin auf ihrem ganz eigenen Weg zwischen Folk, Pop, Post-Rock und Chanson; ein exklusives Konzert des britischen Songwriters Ben Howard, das vor allem junges Publikum mobilisierte; die routiniert schlechtgelaunte, ausgesprochen rockige Version der Brit-Pop-Idee von Liam Gallagher; die ausgelassene euphorische Party-Stimmung mit Electro-Swing-Pionier Parov Stelar – all das wird in guter Erinnerung bleiben. Genauso wie das Statement, für den Höhe- und Schlusspunkt des Finalabends auf die für Mainstream-Begriffe vergleichsweise sperrige, aber hochinteressante Entertainerin Laura Pergolizzi alias LP (statt auf die sicherlich populärere Amy Macdonald) zu setzen. Hier wie für das gesamte diesjährige Festival gilt: Der Mut steht ihm gut.

Amy Mcdonald © Reiner Pfisterer