Jazzrausch Bigband

Bigband mit Familiensinn

Jazzrausch Bigband © Marc Wilhelm

Es ist gerade einmal ein paar Jahre her, dass die Jazzrausch Bigband die Jazzszene auf den Kopf stellte. Mit ihrer Mischung aus Jazz und Techno begeistern die jungen Musiker*innen eine breite Masse an Fans. Mit téchne veröffentlicht das Ensemble nun sein neues Album.

Von Verena Düren

Unvergesslich scheint das erste Konzerterlebnis mit der Jazzrausch Bigband gewesen zu sein: geprägt von Neugierde in Verbindung mit der Begeisterung eines ausverkauften Opernhauses, in dem generationsübergreifend niemand auf seinem Sitz blieb. Seit ihrer Gründung 2014 hat die Bigband eine steile Karriere gemacht und weltweit circa 600 Konzerte gespielt. Das Geheimnis dahinter ist nicht nur eine gute Bigband, sondern vor allem die einzigartige Verbindung von Jazz mit Techno. „Ich habe zu der Zeit in dem Münchner Club Rausch und Töchter eine Konzertreihe mit dem Titel Jazzrausch gemacht und dachte, es wäre schön, für die Reihe eine eigene Band zu haben“, berichtet Roman Sladek von den Anfängen. Da er in der Reihe versuchte, besondere, kreative Konzepte umzusetzen, war klar, dass auch die Band kein Durchschnitt sein würde. „Ich kam schnell auf die Bigband als Formation, weil diese durch die verschiedenen möglichen Kombinationen mehr Möglichkeiten bot als beispielsweise ein Trio.“

Über seine Liebe zum Techno hatte Sladek schon privat Kontakt zu Leonhard Kuhn, der bis heute Haupt-Komponist für die Bigband ist: „Leonhard ist extrem gut und schnell, er ist der perfekte Partner“, schwärmt Sladek. Kuhn, der studierter Mathematiker ist und sich für zahlreiche geisteswissenschaftliche Themen interessiert, vereint so viel Input in sich, dass er problemlos alle paar Monate ein neues Programm herstellt. Das sechsjährige Jubiläum im vergangenen Jahr konnte die Jazzrausch Bigband mit einem etwa siebenstündigen Rave feiern – ausschließlich Stücke aus Kuhns Feder.

Die restlichen 35 Musikerinnen und Musiker stammen aus einem Netzwerk rund um die Münchner Musikhochschule sowie aus dem Kontext der Jazzrausch-Konzertreihe. Seit der Club Rausch und Töchter aus Lärmschutzgründen nur ein Jahr nach der Gründung der Band geschlossen wurde, ist die Jazzrausch Bigband fester Gast im Techno-Club Harry Klein – und damit begannen die intensive Auseinandersetzung mit der Verbindung von Jazz und Techno und die richtig große Karriere. „Dass wir als feste Band im Harry Klein untergekommen sind, hat natürlich auch noch mal für eine Profilschärfung gesorgt“, so Sladek.

Hinsichtlich der Ausrichtung und der Professionalisierung hatte er eher innerhalb der Band Überzeugungsarbeit zu leisten als nach außen. Von Kritik und Unverständnis für die Kombination der beiden Musikstile blieb die Band weitestgehend verschont. „Inhaltliche Glaubwürdigkeit und Authentizität sind uns sehr wichtig, und das überzeugt Publikum und Kritiker. Wir machen anspruchsvolle, mühevoll gemachte Musik, die Spaß macht.“ Die Fans sind erstaunlicherweise gar nicht ungewöhnlich jung – viele von ihnen sind über 45 Jahre alt. „Manchmal denke ich, wir sind der kleinste gemeinsame Nenner für Familien“, so Sladek lachend.

Die Produktionswut des Gründer-Duos Sladek und Kuhn beschert nun die vierte Platte, die seit 2019 bei ACT erscheint: téchne heißt das Album, das ausnahmsweise auch Stücke anderer Komponisten beinhaltet. „Alle unsere Alben funktionieren über Themen, die ich in der Regel vorgebe und mit denen Leonhard dann arbeitet. Unser letztes Album Beethovens Breakdown war inhaltlich sehr stark vorgegeben, so dass wir nun wieder eine Platte machen wollten, die näher an der Band dran ist.“ Der Titel techné knüpft an den griechischen Begriff an, der keine Unterscheidung zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik macht. Die Jazzrausch Bigband schafft nun eine Schnittstelle zwischen den Bereichen und porträtiert darüber auf ganz eigene Art und Weise den Begriff der Technik. So setzt sich das Stück „AI 101“ mit der Fehlermeldung und den engen Grenzen auseinander, die sich der Mensch durch seine Abhängigkeit von der Technik selbst setzt. Auch Literarisches fehlt nicht, beispielsweise bei einer Vertonung des Hugo-Ball-Gedichts „Der Literat“, während es in „Shufflings Steps“ um die Auseinandersetzung mit Kompositionstechniken geht. Neu dabei sind Werke von Theresa Zaremba und Andreas Unterreiner, deren Kompositionen bereits in Club-Sessions im Harry Klein zu hören waren.

Geehrt fühlt sich die Band durch hochkarätige Gäste wie Nesrine, Viktoria Tolstoy, Wolfgang Haffner, Kalle Kalima, Nils Landgren und Jakob Manz, die zeigen, wie gut das Konzept ankommt. „Eine Bigband bietet sich ja grundsätzlich für Gäste an, aber dieses Mal war es wirklich wie eine Input-Kur und auch eine gute Möglichkeit, über die eigene Musik zu reflektieren.“

Mit der Professionalisierung und dem Erfolg stieg auch die Verantwortung von Roman Sladek als Bandleader – auch in Pandemie-Zeiten: „Wir haben uns, und das ist schon mal schön und macht es leichter. Wir haben viel in Tests und Hygienekonzepte investiert, konnten daher einiges machen und haben versucht, per Rotationsverfahren alle einzubinden. Es dürfen nicht Hygienekonzepte entscheiden, mit wem man Musik macht. Bisher scheint das gelungen zu sein, denn es hat niemand aus der Band aufgehört.“ Eine große Unterstützung sei dabei auch der Zuspruch der Fans gewesen: „Wir haben sehr persönliche Nachrichten und auch private Spenden erhalten. Wir hatten zum Glück nie das Gefühl, nicht relevant zu sein.“

Aktuelles Album:

Jazzrausch Bigband: téchne (ACT / Edel:Kultur)