Sebastian Scotney

London Column

Die heutige Kolumne handelt von einem englischen Geschwisterpaar mit starker Verbindung zu Deutschland. Der in Manchester lebende Pianist und Sänger Jeremy Sassoon ist der Älteste von vier Geschwistern; seine nur 18 Monate jüngere Schwester, die Pianistin Julie Sassoon, hat in Berlin ein neues Zuhause gefunden. Sie stammen aus Cheadle, einem grünen Vorort im Süden von Manchester, und hatten immer eine enge Beziehung zueinander. Die Begabung fürs Klavier war bei beiden schon im Kindesalter entdeckt worden, aber die Musik, die sie heute machen, liegt im breiten Spektrum des Jazz fast diametral entgegengesetzt.

Geht man zwei Generationen weiter zurück, dann stößt man auf die badische Kleinstadt Kippenheim, wo ihre Großeltern wohnten, bis sie 1939 nach Manchester flüchteten. Mit 19 stattete Julie Kippenheim einen Besuch ab, auf den Spuren der Vergangenheit. Seit 2009 lebt sie nun mit ihrem Mann, dem Saxofonisten Lothar Ohlmeier, in Berlin. Ihre gemeinsame Tochter macht schon früh als talentierte Trommlerin auf sich aufmerksam.

Julie hat mit ihrer spontanen, stimmungsvollen Musik großen Anklang beim deutschen Publikum gefunden. Ihr Quartett wird immer wieder für Festivals gebucht, und sie ist schon vier Mal in der Elbphilharmonie aufgetreten, einmal im Duo mit dem Schlagzeug-Veteranen Willi Kellers. Ihre Musik ist tief empfunden, die Suche nach ihren deutschen Wurzeln ein häufiges Leitmotiv, besonders auf ihrem Album Land of Shadows von 2013. Ihre wundervolle Intensität drückt sich auch auf ihrer neuen Solo-CD If You Cant Go Outside…Go Inside (Jazzwerkstatt) aus.

Jeremy Sassoon ist ein Jazz- und Bluessänger. „Intim und ehrlich, mit echtem Spaß“ – so wurde sein Stil beschrieben. Sein Leben, seine Welt ist in Manchester – und seine Laune davon abhängig, wie gut Manchester United beim Fußball abschneidet (also nicht so gut in der letzten Zeit). Seine Beziehung zu Deutschland hat sich wesentlich später entwickelt als die seiner Schwester. Das erste Mal kam er 2012 nach Deutschland, um sie zu besuchen. Er machte bei der Jam-Session im Quasimodo mit und hinterließ mit seiner Musik einen starken Eindruck. So entwickelte er eine musikalische Freundschaft mit dem Schlagzeuger Michael Kersting. Sie spielen oft zusammen, besonders im A-Trane, wo Jeremy seit einigen Jahren regelmäßiger Gast ist. Er hat sich auch in den Südwesten aufgemacht und Kippenheim besucht, in Verbindung mit einem Gig im Mosaik in Frankfurt, wo er 2020 mit dem Freiburger Kontrabassisten Thomas Heidepriem auftrat. Früher oder später – Musik verliert nie die Macht, neue und alte Bande aufleben zu lassen!

Jazzjournalist Sebastian Scotney betreibt die Website londonjazznews.com