Jazztage
Leipzig
Von Arne Reimer. Der Brexit steht vor der Tür. Ein guter Grund zu schauen, welche Jazzmusiker der Insel uns geprägt haben und wer uns heute aufhorchen lässt. Denn in der britischen Jazzszene tut sich zurzeit mal wieder sehr viel. Das hat auch das Kuratorium der Leipziger Jazztage schon längst bemerkt, weshalb sie unter dem Motto Fish‘n‘Chips das scheidende Großbritannien genauer beleuchteten und würdigten. Dazu initiierten sie nicht nur Auftragsproduktionen, sondern etablierten innerhalb des zehntägigen Festivals sogar die Reihe „Across the English Channel“, bei der jeweils deutsche mit englischen Musikern in einer Gruppe kooperierten. So präsentierte sich Michael Wollny zur Abwechslung von einer ganz anderen, raueren Seite, wozu ihn der britische Elektronik-Musiker Leafcutter John inspirierte. Anna-Lena Schnabel holte sich gleich zwei junge Männer mit dem Vornamen James hinzu, Maddren und Banner, die trotz nur einer Probe so gut klangen, als ob sie seit Jahren eingespielt seien. Jazz kann eben alles.
Aber auch die rein britischen Bands konnten überzeugen: das traditionsbewusste Quartett Empirical, der junge dynamische Saxofonist Soweto Kinch, ebenso das experimentierfreudige Trio des jungen Pianisten Elliot Galvin. Ein absolutes Highlight war die Brexit Big Band von Matthew Herbert, dessen Humor und Interaktion mit dem Publikum für allgemeine Erheiterung sorgte. Herberts Bitte, Wünsche für England auf weiße Blätter zu schreiben, die unter den Sitzen bereitlagen, um diese Wünsche dann als Papierflieger auf die Bühne segeln zu lassen, wo einige vorgelesen wurden, geriet zu einer Art Happening. Den Musikpuristen war das zu viel Klamauk. Ob sie beim folgenden Konzert auf gleicher Bühne glücklicher wurden, ist zu bezweifeln. Die sphärische Musik der jungen Trompeterin Yazz Ahmed waberte langweilig vor sich hin.
Dann vielleicht doch lieber ein Gehör und ein Blick für die ältere Generation der Insel. Die Sängerin Maggie Nicols improvisierte so frei und tanzend mit ihrer Stimme, dass es eine Freude war. Bass-Legende Dave Holland hatte in seinem Quartett die Trumpf-Karte Chris Potter mitgebracht, und die Grande Dame Norma Winstone verzückte nicht nur durch ihre reife Stimme, sondern auch durch ihre charmante Art. So blicken wir also auf die Musik der britischen Insel mit einem weinenden und einem lachenden Auge, denn wir wissen ja: Es wird weitergehen. Musik kennt keine Grenzen, erst recht nicht der Jazz.