© Ingvil Skeie Ljones

Sigurd Hole

Musik als Spiegel der Zeit

Sigurd Hole wuchs in einem kleinen norwegischen Dorf mit weniger als 100 Einwohnern auf. Als er seine ersten musikalischen Erfahrungen auf der Geige machte, war nicht zu ahnen, dass er einmal einer der gefragtesten Jazz-Bassisten Norwegens sein würde. Auch nicht, welchen Einfluss die Musik des Mittleren Ostens über Indien bis Japan auf ihn und sein musikalisches Schaffen haben würde.

Von Thomas Bugert

Ein Besuch in Bethlehem veränderte das Leben Sigurd Holes nachhaltig. Beim Spielen mit den Musikern dort lernte er die Musik des Mittleren Ostens näher kennen und stellte interessante Übereinstimmungen mit der traditionellen Musik Norwegens fest. „Es fühlte sich natürlich an, die verschiedenen Stimmungen mit Vierteltönen auszudrücken, die es auch in der norwegischen Musik gibt“, erinnert er sich. „Die musikalischen Zusammentreffen mit den Musikern dort waren eine wichtige Inspiration für mich und veranlassten mich dazu, mehr über arabische Musik zu lernen und deren Elemente in mein Spiel und meine Kompositionen einfließen zu lassen.“

Das war der Ausgangspunkt einer musikalischen Expedition, deren Erfahrungen er zuletzt in zwei Alben festhielt. Bereits im Frühjahr erschien seine Solo-CD Elvesang. Neben verschiedenen Einflüssen aus unterschiedlichen Musikkulturen war vor allem Holes Beziehung zur Natur ein wichtiges Element bei der Entstehung des Albums. So hat jeder Titel bis auf das Intro einen direkten Bezug zur Natur. Durch Umgebungsgeräusche wie Regen oder Donner, die von außerhalb in die Kirche drangen, in der die Aufnahmen gemacht wurden, hält die Natur auch direkt Einzug in das Album. Auf dem Cover von Elvesang hat Hole ein Zitat des Sufi-Mystikers Rumi abgedruckt, von dem er viel gelesen hat und dessen Gedanken auch das Trio-Album Encounters beeinflussten.

Für die Besetzung dieses Trios suchte Hole gezielt Musiker, die ähnliche multikulturelle Erfahrungen haben wie er. Auch die Geige, das Instrument, mit dem er begonnen hatte, Musik zu machen, bevor er zum Kontrabass wechselte, und das in der traditionellen norwegischen Musik eine zentrale Rolle spielt, war ihm wichtig. Hole fand mit Håkon Aase an der Geige und der Kantele, einer finnischen Zither ohne Griffbrett, einen Musiker, der sich intensiv mit indischer Musik beschäftigt hat. Dritter im Bunde wurde der Schlagzeuger Jarle Vespestad und brachte seine Erfahrungen mit der Musik des Balkan ein. Im Zusammenspiel der drei Musiker verschmelzen die einzelnen Instrumente mehr und mehr zu einem Gesamtklang. Das liegt zum einen an der Spielweise, etwa wenn Sigurd Holes Bass mitunter, wie bei „Azzahra“, an den Klang einer arabischen Oud erinnert, zum anderen an seinem obertonreichen Bogensound, der sich etwa bei „Interlude“ mit dem Klang der Geige mischt. Håkon Aase bietet ein ähnliches Klangspektrum auf seinem Instrument, das von einem klassisch anmutenden über einen ebenfalls obertonreichen Klang bis hin zu einem orientalisch-indischen Sound mit kunstvollen Umspielungen der Einzeltöne reicht. Als rhythmisches Fundament des Trios tritt Jarle Vespestad meist auf der Darbuka, aber auch mit anderen Perkussionsinstrumenten in direkte Kommunikation mit seinen Mitmusikern.

Sigurd Holes Kompositionen folgen nicht der traditionellen Formel Thema-Improvisation-Thema. Er sieht seine Stücke eher als kleine Geschichten, zu denen jeder seiner Mitmusiker seinen Teil beiträgt. Für ihn sind alle Einzelstimmen in der Band gleich wichtig. Sie treten unterschiedlich hervor und verschwinden dann wieder mehr im Hintergrund. Das Bill Evans Trio mit Scott LaFaro und Paul Motian hatte hier in seiner Art des Zusammenspiels einen großen Einfluss auf ihn, erzählt er. So verbindet Sigurd Hole auf seinem Album traditionelle Jazzkonzepte mit musikalischen Ideen aus den verschiedensten Teilen der Welt, die er unter anderem bei verschiedenen Tourneen kennenlernte.

Besonders nachhaltig beeinflussten ihn hier mehrere Touren in Japan, wo ihn die Bambusflöte Shakuhachi und deren Benutzung in zenbuddhistischen Meditationen faszinierte. Die Verbindung von Musik und Meditation findet sich besonders in der Komposition „Sakura“ mit ihren Repetitionen, die sich langsam weiterentwickeln, wieder. Gerade dieses Stück mit seiner präparierten Geige ist ein wunderbares Beispiel dafür, was entstehen kann, wenn sich verschiedene Kulturen mit Respekt und Neugierde begegnen. Musik ist für Sigurd Hole in einer immer weiter zusammenwachsenden Welt weitaus mehr als Selbstzweck: „Die Musik, die wir kreieren, reflektiert ein wichtiges Element unserer Zeit. Die unterschiedlichen Kulturen treffen überall auf der Welt aufeinander. Leute gehen freiwillig oder gezwungenermaßen an andere Orte. In unserem Trio bringen wir Elemente aus verschiedenen Kulturen zusammen und sind in gewisser Weise ein Spiegel unserer Zeit.“

Aktuelle CDs:

Sigurd Hole: Elvesang

Sigurd Hole Trio: Encounters

(Beide: Elvesang / Musikkoperatørene)