In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Kim Kashkashian

Six Suites for Viola Solo

ECM / Universal

5 Sterne

Es handelt sich natürlich um die berühmten Cello-Suiten von Bach, die Kim Kashkashian hier auf der Bratsche spielt. Man bewundert nicht nur die makellose Interpretation der armenisch-amerikanischen Bratschistin, die auch mal eine Zeit lang in Berlin gelehrt hat, sondern auch ihre schlichte Erkenntnis, dass es sich bei den Cello-Suiten um Musik handelt, „wo Kunst und Handwerk eins werden“ – besser kann man es wohl kaum auf den Punkt bringen.

Diese Musik für die Ewigkeit klingt durch das eine Oktave höher als das Cello liegende Instrument tatsächlich noch einmal anders, und wer den Referenz-Interpretationen eines Pablo Casals oder einer Esther Nyffenegger mal Abwechslung angedeihen möchte, liegt hier goldrichtig. Dass Bach von Musikern und Musikwissenschaftlern gottgleich verehrt wird – „er sollte Strom heißen“ und dergleichen Aussprüche sind ja bekannt –, findet in den Six Suites eine perfekte Begründung, man kann ihn allerdings auch geschwätzig finden (Karl-Heinz Koch lehnte ihn einst mit den berühmten drei Worten „zu viele Noten“ ab). Doch wenn Kashkashian auch über zwei Stunden für die sechs Suiten braucht, so erscheint einem keine Note zu viel. Das einzige Problem: Danach mag man keine Musik mehr hören, nicht einmal Coltrane – der Abstand ist einfach zu groß.

Rolf Thomas

Philippe Mouratoglou

Univers-Solitude

Vision Fugitive / Broken Silence

5 Sterne

In der Pop- und Rockmusik hört man akustische Gitarren meist nur, wenn es sentimental wird und songwriterhaft. Dabei ist die nicht verstärkte Gitarre ein so wunderbares Solo-Instrument mit ihren dynamischen Gegensätzen, ihrem explosiven Saitenklang, ihren vielen Timbres und perkussiven Möglichkeiten. Auch im Jazz begegnet sie einem viel zu selten. Eigentlich unerklärbar, warum das Trio aus akustischer Gitarre, akustischem Bass und Schlagzeug/Percussion keine Standardbesetzung des Jazz geworden ist. Ralph Towners Aufnahme Batik (1978) mit Eddie Gomez und Jack DeJohnette hätte eine Inititialzündung sein können so wie Bill EvansVillage-Vanguard-Aufnahmen es für das Pianotrio waren. Was der Jazzwelt da entgeht, lässt Philippe Mouratoglou erahnen, der sonst in der klassischen Gitarrenliteratur von John Dowland bis Leo Brouwer zu Hause ist. In seinem improvisierenden Trio wird die akustische Gitarre zum höchst originellen Klangerzeuger zwischen Jazz und Kammermusik. Mouratoglou kann Blues und Free, liebt wilde Rhythmen und experimentelle Harmonien und scheut auch das Groteske nicht. Seine Mitstreiter sind Bruno Chevillon am Bass und Ramón Lopez an den Trommeln beide gehören zur Crème der französischen Jazzszene. Klanglich impulsives Musizieren, eine strukturell erfrischende Fantasie. Viel mehr davon!

Hans-Jürgen Schaal

Wolfgang Lackerschmid & Chet Baker

Ballads for Two

Dot Time / H‘Art

4 Sterne

Chet Baker war nicht der beste Trompeter der Welt, aber er legte so viel rohe Emotion in sein Spiel, dass es fast immer ein Erlebnis ist, ihm zuzuhören. Ungefähr 1979 – leider macht das Label auf der CD keine Angabe, wann die Aufnahme stattgefunden hat – begann der Trompeter, mit dem deutschen Vibrafonisten Wolfgang Lackerschmid im Duo zusammenzuarbeiten, der ihm ein paar Stücke auf den Leib geschrieben hat, darunter das bewegende „Five Years Ago“ und das nicht minder anrührende „Why Shouldn’t You Cry“ (alles zu der Entstehung der Songs erzählt Lackerschmid dankenswerterweise in den Liner Notes). Zusammen mit ein paar Standards – darunter das beliebte „You Don’t Know What Love Is“ und Kenny Dorhams (nicht „Dorman“ wie auf der CD abgedruckt) berühmte „Blue Bossa“ – ergibt das ein abwechslungsreiches Programm, bei dem man vor allem darüber staunt, wie gut die beiden Instrumente und die beiden Musiker sich ergänzen. Lackerschmid ist ein großer Virtuose auf seinem Instrument, war aber damals noch sehr jung (Anfang 20) und sicher ziemlich nervös. Davon aber hört man nichts. Ballads for Two ist eine Sternstunde und mit der freien Improvisation „Double O“ hat Dot Time Records sogar noch einen äußerst erfrischenden Bonus-Track ausgegraben.

Rolf Thomas