© Karol Sokolowski

Jazztopad

Wrocław

Von Martin Longley. Listopad ist der polnische November, in Wrocław wird dieser stets zum Monat des Jazz, der dort dann an verschiedenen Orten mit unterschiedlicher Atmosphäre stattfindet. Hochkarätige Konzerte bietet das National Forum of Music (NFM), erst 2015 eröffnet – ein sehr beeindruckender moderner Konzertsaal. Um Mitternacht steigen dann alle ein in die Jam-Szene im Keller der nahe gelegenen Café-Bar Mleczarnia, und am abschließenden Wochenende führen uns Wohnzimmer-Sessions in Wohnungen in der ganzen Stadt, wo die Musiker*innen der Jazztopad spontan zu Improvisationen zusammenkommen.

Das NFM krönte Jazztopad dieses Jahr mit einer doppelten amerikanischen Besetzung: Drummer Hamid Drake präsentierte Turiya, seine Hommage an die Musik von Alice Coltrane. Der allgegenwärtige Drake war der Artist in Residence des Festivals. Er hatte sich schon vor einiger Zeit dem Saxofonisten David Murray als Teil von dessen neuestem Trio angeschlossen, gemeinsam mit dem Bassisten Brad Jones. Der Turiya-Auftritt verblüffte vor allem mit seiner unwahrscheinlichen Besetzung, gebildet aus vielen Szenen und Ländern. Dennoch schafften es die Spieler*innen häufig nicht, wirklich zusammenzuarbeiten, obwohl dies der letzte Auftritt einer kurzen Europatournee war. Drakes und Murrays gemeinsames Set war weitaus beeindruckender, den Jazz-Fokus zu einer treibenden dreiköpfigen Konversation verengend. Eine seiner bemerkenswertesten Kollaborationen hatte Drake mit der japanischen Koto-Spielerin Michiyo Yagi, deren erschreckend brutale Saitenbehandlung manchmal in so etwas wie ruhiges Understatement überging. Yagi ist eine echte Virtuosin auf diesem schwer zu handhabenden Instrument.

Das Meditation-Set der Schweizer Tenorsaxofonistin María Grand hatte den Charakter einer nachdenklichen Reise, am stärksten bündelten sich ihre Kräfte dann aber bei ihren eher nüchternen und konfrontativeren Auftritten beim Keller-Jam und in den Wohnzimmerkonzerten. Auch ihr Bassist Rahsaan Carter konnte dort seine volle Free-Funk-Komplexität zum Ausdruck bringen. Der Chicagoer Joshua Abrams und seine Natural Information Society verschmolzen marokkanische Gnawa-Traditionen mit Minimalismus und Trance-Jazz. Das Publikum folgte ihm in seinen Pool der langsamen Übergänge.

Die französische Bassistin und Komponistin Joëlle Léandre präsentierte ein zweiteiliges Konzert – zunächst ein Duo mit ihrem langjährigen Spielpartner und Landsmann Pascal Contet. Dunkle Streichpassagen trafen auf ein subtil pfeifendes Akkordeon. Auf sanft fließende Tasten folgte nach 30 Minuten ein abrupter Bruch, als Léandre plötzlich in verrückter Dada-Manier vokalisierte und ihre Saiten mit spitzen Schlägen traktierte. Im zweiten Teil des Konzerts gab es eine Uraufführung mit dem Polish String Quartet, eine ungewöhnliche Besetzung mit vier Celli und dem Kontrabass der Komponistin. Kleine Geräusche flatterten und machten Sturzflüge, Bögen wurden mit großer Reibung gezogen, gleichzeitig wie stotternd in einer obsessiven Geschäftigkeit. Aus tonaler Geschmeidigkeit entstand so eine dunkle Lyrik. Abermals erreichte die Aufführung ihren Höhepunkt, als Léandre mit der Stimme einstieg, um dann einen plötzlichen feierlichen Bass-Schuss als Schlusspunkt abzugeben.

Aus dem Englischen von Jan Kobrzinowski