London Column
Das Magazin MOJO nannte die britische Pianistin Alcyona Mick einmal ein „ungewöhnliches Kraftpaket an Talent“. Sie gehört zu den Musikern, deren Ruf für Qualität, Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit in der Jazzgemeinde allgemein akzeptiert ist. Sie ist seit etwa einem Jahrzehnt die Hauptpianistin des London Jazz Orchestra (der erste Inhaber dieser Position war der große John Taylor).
Trotzdem ist Alcyona Mick ein Name, der bekannter sein könnte und sollte. Der Hauptgrund, warum ich jetzt über sie spreche, ist, dass sie ein ganz hervorragendes zweites Album herausgebracht hat: Make One Little Room an Everywhere. Das Album, an dem auch die Sängerinnen Natacha Atlas und Brigitte Beraha mitgewirkt haben, basiert auf ihrer Duo-Partnerschaft mit der Saxofonistin/Flötistin Tori Freestone, sie leiten das Duo gemeinsam.
Tori Freestone sagt über Alcyona Mick: „Ich liebe es wirklich, mit ihr zu spielen. Sie hat ein unglaubliches Gehör, ihr musikalisches Zeitgefühl ist erstaunlich, sie stellt mich vor Herausforderungen – das liebe ich, denn ich habe volles Vertrauen in sie. Und wir sind auch gute Freunde.“ Mick hat das Spielen im Duo mit Tori Freestone ihrerseits mit einem Satz beschrieben: „Es ist unglaublich befreiend, öffnet so viele Möglichkeiten.“
Ich liebe die Drehungen und Wendungen, die sie in dem Standard „They Can‘t Take That Away from Me“ findet. Hier herrscht eine Leichtigkeit, das ist einfach fröhliches Jazzspiel. Aber in ihr steckt noch so viel mehr: Ich erinnere mich noch lebhaft an das erste Mal, als ich auf ihr Spiel aufmerksam wurde. Sie hatte Musik komponiert und auch improvisiert, um einen Stummfilm zu begleiten: Sunrise, das amerikanische Filmdebüt des deutschen Regisseurs F. W. Murnau. Das war 2011, aber es ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Und in ihrer Biografie findet sich eine der exotischsten Auszeichnungen, die ich je gesehen habe: „Beste Filmmusik auf dem internationalen Festival Anima Mundi in Brasilien“.
Ich war fasziniert, als ich erfuhr, dass Alcyona Mick familiäre Verbindungen nach Deutschland hat. Sie stand ihrer Großmutter mütterlicherseits, Inge Dale (geb. Krone), 1925 in Köln geboren, sehr nahe. Die ganze Familie war tief in den sozialdemokratischen Widerstand gegen die Nazis verstrickt, und Inge erzählte ihr leidenschaftlich von den Gefahren, Ängsten und Problemen jener Zeit. Tatsächlich lebte die ältere Schwester ihrer Großmutter noch immer im Haus der Familie in Brück, bis sie im August dieses Jahres im Alter von 99 Jahren starb. „Es ist das Ende einer Ära“, schrieb mir Mick traurig. „Sie war das letzte verbliebene Mitglied unserer Familie, das sich an diese Zeit in Deutschland erinnern konnte.“
Jazzjournalist Sebastian Scotney betreibt die Website londonjazznews.com