Konfrontationen Nickelsdorf

Von Holger Pauler.

Zum 39. Mal gab es im Juli die Konfrontationen in Nickelsdorf – es könnte die letzte Ausgabe gewesen sein.
Wegen des drohenden Konkurses der Jazzgalerie – dem zentralen Veranstaltungsort des Festivals – ist es unsicherer denn je, ob das Jubiläum im kommenden Jahr stattfinden kann. Im Herbst soll über die Zukunft des Restaurants verhandelt werden. Das endgültige Aus wäre eine Schande, zumal die diesjährige Auflage des Festivals eine der besten der jüngeren Geschichte war.
Der Auftritt der Formation Frisque Concordance mit Georg Graewe (p), John Butcher (sax), Wilbert de Joode (b) und Mark Sanders (dr) zeigte, dass die Grenzen der freien Improvisation noch längst nicht ausgelotet sind: Uptempo und Crescendo dominierten das Konzert. Fließende Kaskaden auf dem Klavier wurden begleitet von Multiphonics und stets wechselnden Harmonien auf Tenor- und Sopransaxofon. Dazu eine Rhythmusgruppe, die den Sound mal verdichtete, dann wieder Kontrapunkte setzte. Interaktion auf Champions-League-Niveau – und das Ganze ohne Elektronik und präparierte Instrumente. Frank Gratkowskis Septett Skein unternahm in seinem nächtlichen Auftritt Ausflüge in den Dschungel und die Exotica, ohne den Boden der freien Improvisation zu verlassen. Besonders Liz Allbee an Trompete und Stimme und Kazuhisa Uchihashi an Gitarre und Daxofon steuerten unerwartete Klangfarben bei. Eine elektro-akustische Klangreise, die wach hielt, ohne zu überfordern.
Regionale Acts spielen in Nickelsdorf glücklicherweise ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Gruppe Möström um Susanna Gartmayer (bcl), Tamara Wilhelm (electr) und Elise Mory (keyb) spielte zum ersten Mal bei den Konfrontationen und sorgte mit ihrem oft mit einem leicht ironischen Lächeln vorgetragenen Mix aus Elektro, freier Improvisation und eingestreuten Standards für einen weiteren Höhepunkt: Es pulsierte, rauschte, donnerte und swingte – per Anhalter durch die musikalischen Galaxien. Das Tentet der Komponistin Angélica Castelló eröffnete den Sonntagabend mit einem Auftritt voller Überraschungen: Teilweise drone-artig wurden Spannungsbögen kreiert, mal nebeneinander, mal langsam aufeinander aufbauend, dann wieder wellenförmig, ehe das Stück langsam ausfadete – zufällig begleitet vom Heulen der Sirenen der örtlichen Feuerwehr. Christof Kurzmann bewegte sich anschließend mit der Formation Disquiet in der Tradition Robert Wyatts oder Fred Friths: fragile Songfragmente und Collagen, die zum Zuhören aufforderten. Auch politische Botschaften durften hier nicht fehlen. Gerade jetzt, da der Aufstieg der Populisten und (Krypto-)Faschisten unaufhaltsam scheint, ein mehr als notwendiger Schritt.
Das Festival wurde von einem Streicher-Trio abgeschlossen: Szilárd Mezei (viola), Tristan Honsinger (cello) und Joel Grip (b) bewegten sich zwischen Dada, Beckett und Billie Holiday. Honsinger und Grip steigerten ihren Dialog ins Absurde, sprangen über die Bühne, kletterten auf Stühle und tauschten die Instrumente. Es gab mehrere Zugaben, an deren Ende Festivalmacher Hans Falb auf die Bühne geholt wurde. Er verabschiedete sich sichtlich bewegt vom zahlreich erschienenen Publikum. Und nicht wenige blickten mit Wehmut auf die vergangenen vier Tage zurück: Ein Ende der Konfrontationen würde bedeuten, dass ein weiterer Freiraum, der noch nicht vom autoritären Zeitgeist kontaminiert ist, verschwindet. Hoffen wir das Beste.