Kymat

Ein Joint zum Hören

© Lucas Buchholz / Matthias Haupt

Offene Münder und ungläubiges Staunen sind die typischen Publikumsreaktionen bei Auftritten des Hamburger Klangkünstlers Sven Meyer und seines Projekts Kymat. Seine Bandmitglieder sind – Pflanzen. Meyer wandelt deren elektromagnetische Signale in Klänge um und übersetzt die Schwingungen in faszinierend schöne Bilder.

Von Guido Diesing

Grillenzirpen, Geklapper und Geraschel, eine entfernte Vogelstimme, ein paar gepfiffene Töne – es ist eine stimmungsvolle Naturszenerie, die sich zunächst vor dem inneren Auge aufbaut, bevor im Hintergrund die ersten vorsichtigen Keyboard-Klänge auftauchen. Erst nach einigen Minuten dringt eine Melodie ans Ohr. Was folgt, ist eine fünfzigminütige Klangreise, mal flächig, dann hingetupft, mal harmonisch, dann etwas abstrakter, mal aufgetürmt, dann wieder sparsam und so weit zurücktretend, dass die Grillen vom Anfang wieder zu hören sind. Sonic Bloom heißt das Werk, das zwar unter einigem technischen Aufwand entstanden ist, dabei aber doch warm und organisch klingt.

Seinen ganzen Reiz entfaltet es erst im Kontext von Live-Aufführungen, wenn sich offenbart, dass ein Teil der Klänge auf den elektromagnetischen Schwingungen von Pflanzen basieren, deren Blattwerk dazu mit Elektroden verbunden ist. Die Schallwellen versetzen zudem Wasser in einem Flaschendeckel in Schwingung, und die Muster der Wasseroberfläche werden als irritierend schöne geometrische Muster auf eine Leinwand projiziert – ein Gesamtkunstwerk, das viele Sinne anspricht. Im weißen Laborkittel an einen durchgedrehten Wissenschaftler erinnernd, manipuliert Sven Meyer, der Mann hinter Kymat, die Sounds mit Keyboards und Effektgeräten.

Am Anfang von Sonic Bloom stand Meyers Wunsch, Musik aufzunehmen, die den Zuhörer entspannt, sich dabei aber von der Beliebigkeit sphärisch-wabernder Meditationsmusik abhebt. „Ich wollte meine eigene Einschlafmusik machen, mit coolen Instrumenten, die gut klingen und die ich gern höre, eine Alternative zu der ganzen Spiri-Mucke, die da draußen so rumfliegt und eher nervt. Ich fand es immer schon geiler, Leute zum Entspannen zu bringen als zum Tanzen. Das neue Album ist wie ein psychoaktiver Trip gedacht – wie ein Joint zum Hören.“

Meyer hatte bereits Erfahrungen mit Themen wie Klangtherapie und Klangmassage und landete bei seiner Beschäftigung mit der Wirkung unterschiedlicher Frequenzen bei Hans Cousto und seiner Kosmischen Oktave und der Erdresonanzfrequenz Winfried Otto Schumanns. Schließlich stieß er auf die Wissenschaft Kymatik bzw. Cymatics, die sich mit der Visualisierung von Schallwellen befasst und sich bis zu Galileo Galilei zurückverfolgen lässt.

Neben der Inspiration durch verschiedene mehr oder weniger abseitige Forscher, war es die eigene Begeisterung für die entstehenden Bilder, die Meyer antrieb: „Du drückst auf den Bass-Synthie, erzeugst einen tiefen Ton und siehst die Auswirkungen im Wasserklangbild. Das macht manchmal Bilder – da könntest du heulen vor Schönheit. Und diese Bilder erklären dir die ganze Welt, denn die geometrischen Formen, die da entstehen und wie Eiskristalle oder Mandalas aussehen – die findest du überall in der Natur wieder: eine Architektur des Lebens, in jeder Pflanze, jedem Tier, jedem Menschen, alle tragen diese Formel in sich.“

Das Angenehme an Sven Meyer: Er hat so gar kein esoterisches Sendungsbewusstsein und ist sich der Merkwürdigkeit seines Tuns voll bewusst: „Ich bin da total drin im wahnsinnigsten Freak-Kram und hab die ganze Zeit nur mit Voll-Nerds zu tun. Und bin selber natürlich auch einer. Es macht mir Riesenspaß, damit zu experimentieren und zu spielen. Esoterisch bin ich gar nicht, gerne ein bisschen spirituell. Was ich super finde, ist: Wissenschaft und mystische Welterfahrung nicht zu trennen, so wie es etwa Albert Hofmann [der Entdecker des LSD] gefordert hat.“

Um aus den Klängen, die ihm seine Pflanzen geliefert hatten, ein funktionierendes Stück Musik mit dramaturgischem Bogen zu schaffen, fügte Meyer Orchesterglocken, Klänge einer Mundharmonika und eines Theremins hinzu. Hilfe bekam er von zwei Bekannten der Hamburger Musikszene: von Carsten Meyer (Erobique) und dem Rapper Das Bo (Fünf Sterne deluxe). „Ich habe sie eingeladen, auf meinen Spielplatz mitzukommen. Das war ein sehr erfüllender Austausch mit guten Freunden. Meine Aufgabe ist es dabei, die Frequenzen so spannend aufzubereiten, dass du als Hörer dranbleibst. Dein Geist wird immer wieder mit neuen Klangformen gefüttert und immer bei Laune gehalten, damit du weiter träumen kannst.“ Als hypnotischen roten Faden benutzte er Ausschnitte einer Soundcollage, aufgenommen während einer Ayahuasca-Zeremonie im Regenwald, die dem Stück Atmosphäre und Zusammenhalt gibt. „Ich entdecke da überall Musik drin, bin ein absoluter Hörfreak“, erklärt er.

Wie es mit Kymat weitergeht? Sven Meyer wüsste schon so einiges, was ihn reizen würde: „Ich hätte total Bock, Open Airs in Schlossgärten zu spielen, vielleicht mit Pflanzen, die nur einmal im Jahr kurz blühen. Dann in dem Moment mit ihnen Musik zu machen, wo die Blüten aufgehen – das wäre super.“

Aktuelles Album:

Kymat: Sonic Bloom (Elfenmaschine, Digitalvertrieb: The Orchard, VÖ: 20.3.)