Lokaltermin

© Helmut Steidler

Ort, Wuppertal

Ob Atelier, Konzertraum oder Wohnzimmer – der Ort in Wuppertal lädt auch 17 Jahre nach dem Tod Peter Kowalds zum Verweilen ein: Holzfußboden, hohe Decken, an der Wand hängen Bilder, die Stühle sind wild zusammengewürfelt, und der „Stille Ort“ ist auf dem Gang. Bier gibt es aus dem Kühlschrank, Wasser natürlich auch, dazu Kaffee und Snacks.

Von Holger Pauler

Man merkt sofort: Hier wird gelebt und improvisiert – auf knapp 100 Quadratmetern. Nur geraucht wird draußen auf der Luisenstraße. Dabei kann man die schöne Aussicht auf das Viertel genießen, mit seinen steilen, engen Gassen, die von zahlreichen Altbauten aus der Gründerzeit eingerahmt sind. „Wir sind eine der letzten Inseln für frei improvisierte Musik und Kunst“, sagt Gund Gottschalk. Die Musikerin ist Vorsitzende der Peter Kowald Gesellschaft / ort e.V., des Vereins also, der seit Dezember 2002 das Erbe Kowalds nicht nur verwaltet, sondern kreativ gestaltet: mit Musik, Tanz, Kunst und Kino. „Wir wollten das Lebendige des Orts erhalten“, sagt Gottschalk. Wobei es nicht um eine bloße Kopie gehe, sondern darum, ein eigenes Profil zu entwickeln.

Zu den festen Terminen im Ort gehören die mehrmals im Jahr stattfindenden Konzerte der Soundtrips NRW. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe reisen eingeladene Musiker oder kleine Gruppen durch bis zu zwölf Städte in NRW, um dort mit Musikern aus der Region zu spielen. Am 2. November macht der Saxofonist Torben Snekkestad halt, um im Rahmen des Festivals Soundtrips NRW 2019 zu spielen. Am Ort sind unter anderem Joëlle Léandre & NAKAMA, Erhard Hirt, Martin Blume, Nicola Hein und Carl Ludwig Hübsch dabei.

Neben den Soundtrips ist der Artist in Residence die zweite wichtige Säule im Ort, der dann für Musikerinnen oder Künstlerinnen für mehrere Wochen zum Domizil wird. Sie leben hier und treten auf – auch außerhalb des Ort. Der cine/ort zeigt außerdem regelmäßig Filme über Musik, Tanz und Kunst. Zu den Konzerten versammeln sich bis zu 70 Gäste – mehr lassen die Sicherheitsauflagen nicht zu. Einen Vorverkauf gibt es nicht. „Wer sicher dabei sein will, sollte möglichst früh anreisen“, sagt Gottschalk. Ansonsten kann es passieren, dass man vor verschlossenen Türen steht, wie etwa vor fünf Jahren beim Global-Village-Festival. Den kompletten Mai über wurde damals der 70. Geburtstag Kowalds mit Musik, Kunstausstellungen und Filmen begangen – ganz im Sinne des ehemaligen Gastgebers. Beim Auftritt des Saxofonisten Charles Gayle, der mit dem Bassisten William Parker und dem Schlagzeuger Hamid Drake nach Wuppertal gekommen war, mussten die Türen irgendwann geschlossen werden, der Andrang war zu groß.

© Mark Strunz-Michels

Die Geburtsstunde des Ort in der jetzigen Form liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Anlass war Kowalds Projekt 365 Tage am Ort, das später auch in einem Buch porträtiert wurde. Samstags um 19 Uhr gab es Konzerte für Nachbarn und Freunde; Musiker und andere Künstler aus dem Global Village schauten vorbei, um bei Radieschen, Käse, Bier und Wein zu spielen und zu diskutieren. Kowald schrieb rückblickend: „Ich entschied mich, vom 1. Mai 1994 bis zum 30. April 1995 überhaupt nicht zu reisen und für dieses Jahr keine Verkehrsmittel außer meinem dreirädrigen Fahrrad zu benutzen; das habe ich mit ganz wenigen, kleinen Ausnahmen ausgehalten.“ Wer die Höhenunterschiede in Wuppertal kennt, weiß, was es bedeutet, mit dem Kontrabass auf den Rücken geschnallt durch die Stadt zu radeln. Besucher haben es da leichter: Die nächste Station der Schwebebahn ist knapp fünf Gehminuten entfernt. Von dort erreicht man alle wichtigen Bahnhöfe im Zehn-Minuten-Takt. Das Auto ist keine ganz so gute Wahl, es sei denn, man steht auf an Irrgärten erinnernde Einbahnstraßen.

Der Ort finanziert sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen, das Kulturbüro NRW unterstützt zudem die festen Programmpunkte. „Bei den Konzerten zahlen wir oft drauf“, sagt Gottschalk. Wie gut, dass es Hilfe von außerhalb gibt. Das Engagement wird regelmäßig mit den Programmstättenpreisen von Bund und Land NRW belohnt: Ein niedriger fünfstelliger Betrag landet jährlich in Wuppertal. Investitionen, die sich in jedem Fall lohnen. Genauso wie ein Besuch im Ort.

Website:

www.kowald-ort.com