Mario Rom’s Interzone
Dekadenwechsel im One-Touch-Jazz
Ding Ding Ding Ding Ding!
Konzeptionell ist für Mario Rom’s Interzone das Ende einer Ära gekommen. Und der Auftakt zu etwas Neuem. Die Jazzuhr läutet einen Zeitenwechsel ein, von der Dekade der Wahrheit hin zur Dekade der Fiktion – und nein, mit Donald Trump hat das ausnahmsweise mal nichts zu tun.
Von Thomas Kölsch
Das Trio aus Trompeter und Namensgeber Mario Rom, Bassist und Shake-Stew-Gründer Lukas Kranzelbinder sowie Drummer Herbert Pirker will mit seiner Musik keine politischen Diskussionen führen, sondern vielmehr philosophische, denkt über Mythen nach und über das Erzählen und bleibt damit letztlich den Themen aus David Cronenbergs Naked Lunch und dem zugrunde liegenden gleichnamigen Roman von Beat-Autor William S. Burroughs treu, der schon immer eine zentrale Rolle im künstlerischen Schaffen der Band gespielt hat.
Insofern hat sich Interzone auch nach zehn Jahren nicht grundlegend verändert. „Wir haben uns schon immer kopfüber in die Musik gestürzt“, erklärt Kranzelbinder. „Wir spielen nie auf Sicherheit, sondern suchen immer mit offenem Visier das Risiko. Sobald auch nur der Verdacht aufkommt, dass wir uns auf ausgetretenen Pfaden befinden, kommt einer von uns guerillamäßig daher und bringt uns an einen Ort, wo wir noch nie zuvor waren.“ Voraussetzung dafür ist das blinde Vertrauen, dass die anderen bereitstehen, um jede noch so unerwartete Wendung aufzunehmen. „Es ist wie beim One-Touch-Fußball“, bestätigt Kranzelbinder. „Wenn ein Pass kommt, hat man keine Zeit, um aufzuschauen und einen Mitspieler zu suchen. Man muss sich darauf verlassen können, dass jemand bereitsteht. Das funktioniert bei uns dreien hervorragend.“
Dieser assoziative Stil verbindet Interzone seit jeher mit Burroughs, auch wenn dessen Œuvre auf dem neuen Album Eternal Fiction weniger präsent ist als auf den Vorgängeralben Nothing Is True, Everything Is Permitted und Truth Is Simple to Consume. Ebenso fehlen die kleinen verrückten Musikvideos mit den zahlreichen Bezügen zu Naked Lunch und dem darin gehandelten Pulver aus dem Fleisch des schwarzen Tausendfüßlers, die das Trio bei den letzten beiden Alben genüsslich ins Netz gestellt hat. „Wir würden schon gerne eine Fortsetzung drehen, aber in Corona-Zeiten ist das eben nicht möglich“, sagt Mario Rom. Schade – andererseits will die Musik von Interzone ja ganz bewusst uneindeutig sein. „Die Fantasie des Publikums ist uns sehr wichtig“, betont Herbert Pirker. „Die größte Freude bereiten uns die wildesten Theorien über mögliche Bezüge und Anspielungen.“
Die wahren Geschichten hinter den einzelnen Stücken sollen daher ein Geheimnis bleiben. „Ach, in der Kunst gibt es ohnehin keine objektiven Wahrheiten“, sagt Pirker und lacht. „Ja, wir beschäftigen uns tatsächlich mit derartigen Gedankengängen. Wir müssen ja auch für uns selbst erst einmal herausfinden, was ein Stück uns überhaupt bedeutet. Das wird uns häufig erst bewusst, nachdem wir es immer und immer wieder geprobt und modifiziert haben. Eternal Fiction ist das Ergebnis eines halben Jahres voller Experimente, in denen wir quasi eine komplette Tour im Proberaum gespielt haben und selbst vor den absurdesten Versionen keine Angst hatten.“ Dabei sind die Stücke auf dem Album letztlich ohnehin nur das Kondensat: „Wenn wir live spielen, können einzelne Nummern schon mal 20 bis 25 Minuten dauern, weil uns ständig neue Wendungen einfallen“, sagt Kranzelbinder. „Das konnten wir natürlich nicht auf eine Platte bannen. Deshalb sind wir im Studio inzwischen weitaus kompakter.“
Diese Fokussierung kommt Eternal Fiction durchaus zugute. Obwohl das Album ebenso vielseitig ist wie die früheren Interzone-Aufnahmen, wirken die einzelnen Tracks doch viel stringenter, klarer, durchdachter. „Wir wollten dem Album einen Road-Movie-Charakter verleihen“, erklärt Pirker. „Man soll es also von Anfang bis Ende durchhören können, ohne sich zu verirren.“ Dafür hat man als Hörer auch keine Gelegenheit. Nach dem balladesken „Are We Real“, das einen in die Klangwelt des Trios hineinsaugt, initiiert das rasante „Casual Curses“ mit dem wahnwitzig-hektischen Trompetenspiel von Mario Rom eine Achterbahnfahrt, die vom Titeltrack mit dem „Take-Five“-artigen Groove über das sinnlich-sündige „Matala“ und das pulsierende „Phaenomenon“ führt, bis man am Ende, nach dem sehr emotionalen „Chant for the Voiceless“, durch das alle harmonischen und rhythmischen Regeln brechende „Here’s to Another Decade“ geradezu per Schleudersitz aus der Interzone herauskatapultiert wird.
Was sich daraus in Konzerten entwickelt, muss sich erst noch zeigen. „Wir hoffen natürlich, dass wir bald wieder spielen können“, betont Mario Rom. „Wir haben ab Januar ein paar Termine, die bislang noch nicht abgesagt worden sind und bei denen wir die neuen Titel ausloten wollen. Wer weiß, was dann passiert. Aus manchen Improvisationen sind auch schon komplett eigene Stücke erwachsen.“ Nicht, dass Interzone die brauchen würde: Genug Material für mindestens ein weiteres Album ist wohl schon vorhanden. Und auch wenn dieses bislang nur Fiktion sein mag, ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis Mario Rom und seine Kollegen daraus eine Wahrheit machen und ihre Geschichte weitererzählen. Die nächste Dekade, sie dürfte spannend werden.
Aktuelles Album:
Mario Rom’s Interzone: Eternal Fiction (Traumton / Indigo)