Megaphon
Von Jan Kobrzinowski
Verrückte Zeiten. Bis vor Kurzem hat man noch gedacht, es ginge wieder los mit echter Live-Kultur, dennoch ist klar, dass immer noch Pandemie herrscht und somit alles andere als Planungssicherheit. Aber war es nicht zu erwarten, dass alles schwierig bleibt und Konzerte und Festivals allenfalls open air oder in kleiner Runde stattfinden können? In Dresden erfand man im November 2020 ein „eigenes Hygienekonzept“. Es sei doch erst einmal „der beste Infektionsschutz, den man haben kann, die Immunabwehr zu stärken, indem wir Veranstaltungen haben.“ Und Kultur an sich sei doch schon seelische Nahrung, so appelliert Jazztage-Chef Kilian Forster an die Eigenverantwortung der Besucher. Etwas für die Seele ist Musik ganz sicher, aber darauf zu bauen, dass pure Freude und positive seelische Zustände den Beteiligten die Immunabwehr stärkten, ist als Konzept riskant. Auf jeden Fall erzeugt es zu Recht öffentlichen Gegenwind. Klar, das war im November 2020, ist inzwischen Vergangenheit und gerade noch einmal gut gegangen. Die Frage ist nun: Kann man im Restjahr 2021 einigermaßen infektionssicher nach Dresden und woandershin fahren und dort „ganz normal“ Musik genießen? Vorsicht ist nach wie vor geboten. Das sollte uns sicher nicht von vernünftiger schrittweiser Annäherung an Normalzustände abhalten, ganz bestimmt aber von Augen-zu-und-durch-Parolen.
Clubs sind Kultur. Ein Entschließungsantrag für die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bau / Wohnen / Stadtentwicklung / Kommunen forderte im Bundestag, dass die Bundesregierung die „Baunutzungsverordnung dahingehend anpasst, dass Clubs und Livespielstätten mit nachweisbar kulturellem Bezug nicht mehr als Vergnügungsstätten, sondern als Anlagen für kulturelle Zwecke“ definiert werden. Nun müssen sich Abgeordnete der demokratischen Parteien im Bundestag, die sich für das „Parlamentarische Forum Clubkultur & Nachtleben” zusammengetan haben, z.B. am zuständigen Noch-Fachminister Seehofer die Zähne ausbeißen. Wir beißen mit.
Und hier ein paar Zahlen dazu: Über 2.000 Musikclubs mit 190.000 Konzerten erwirtschafteten im Jahr 2019 insgesamt 1,1 Mrd. € Umsatz. Die Initative Musik schließt daraus, dass Musikspielstätten, sprich Clubs mit Live-Musik, „zentrale Orte des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens und besonders relevant für Nachwuchsförderung“ sind.
Seit 2005 hat die Musikkultur des Vorderen Orients hierzulande eine feste Adresse. In diesem Jahr setzt das Morgenland Festival in Osnabrück vom 9. – 17.7. gängigen Klischees ein authentisches Bild vorderorientalischer Kultur entgegen. Open-Air-Konzerte im Osnabrücker Schlossinnenhof mit: Dima Orsho & dem Osnabrücker Symphonieorchester, Iva Bittová & Mohammad Reza Mortazavi, Giovanni Weiss Quartett & Sandro Roy, Galilee Strings, Mohannad Nasser & Frederik Köster, Natalie Amiri & Neda Rahmanian (Lesung), Wu Wei & Neue Hofkapelle, Simin Tander, Rabih Lahoud, Florian Weber u.a.
Trans4JAZZ ist jetzt Veitsburg Jazz. Nachdem das traditionsreiche Festival 2020 der Pandemie zum Opfer fiel, hat sich der kreative Verein Jazztime e.V. ein neues (Open-Air-) Format ausgedacht. Hoch über den Dächern Ravensburgs, im Innenhof der historischen Veitsburg und der Zehntscheuer spielen noch bis zum 4.7. Cæcilie Norby, Ulf Wakenius & Lars Danielsson, Trilok Gurtu / Florian Weber / Frederik Köster, Jono McCleery, Lunaves, Alfa Mist und das Emil Brandqvist Trio.
Zur Freude der Jazzfans wird Émile Parisien zum Start des Ystad Sweden JazzFestivals vom Kirchturm der südschwedischen Küstenstadt die Fanfare für 22 Konzerte mit über 100 Künstler*innen blasen. Highlights vom 4. – 7.8.: Andreas Schaerer, Lily Dahab, Émile Parisien Quartet, Jan Lundgren, Lars Danielsson, SOFIA 4 Wizards mit Nicole Johänntgen, Isabella Lundgren & Scandinavian Jazz Orchestra, Anders Jormin, Vivian Buczek feat. Seamus Blake, Morten Lund, Stacey Kent u.v.a.m. Jazz Artist 2021 ist Pia Carlström. (s. Termine)
Der Posaunist Curtis DuBois Fuller verstarb am 8.5. im Alter von 86 Jahren. Besonders als Sideman war er einer der meistgebuchten Musiker seines Instruments in der modernen Jazzgeschichte. Der gebürtige Detroiter spielte mit den Brüdern Adderley, Yusef Lateef, Miles Davis, Wayne Shorter, Jimmy Smith, Joe Henderson, Art Blakey’s Jazz Messengers u.v.a.m. Den berühmtesten seiner Beiträge lieferte er wohl für John Coltranes Blue Train.
rbbKultur und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa vergaben den mit 15.000 € dotierten Jazzpreis Berlin 2021 an den Pianisten Hannes Zerbe, und zwar im Rahmen eines öffentlichen Konzerts im Berliner A-Trane. Der Preis belohnt Zerbe für seinen „prägenden und inspirierenden Beitrag zum Jazzleben Berlins“.
Identigration nennt das Kammerorchester „Bridges – Musik verbindet“ seine neue Produktion. Prompt erhielt es dafür den Preis der deutschen Schallplattenkritik, Kategorie Grenzgänge. 28 Instrumentalist*innen aus unterschiedlichsten Kulturen spielen auf Instrumenten ihrer jeweiligen Heimat, es „fließen Volksmusiken, Funk und Frankfurter Keller-Jazz, sprechende Flötenchöre und barocke ‚Folia‘ zusammen“, so die Jury. Im Bereich Jazz stehen Tommy Flanagans In His Own Sweet Time und Archie Shepp & Jason Moran mit Let My People Go, in der Kategorie Weltmusik Urban Village mit Udondolo und unter Liedermacher Neo Noir von Magdalena Ganter auf der PdSK-Bestenliste 02/2021.
Der Rheingau Musik Preis 2021 geht an Nils Landgren. Der Mann mit der roten Posaune kann sich über ein Preisgeld von 10.000 € vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft & Kunst freuen.
Die Jury für den Albert-Mangelsdorff-Preis 2021 wird aus Nikolaus Neuser, Nadin Deventer, Ralf Weigand, Eva Garthe, Arndt Weidler, Mauretta Heinzelmann und Nils Wogram bestehen. Sie entscheiden über die 15. Vergabe der wichtigen Auszeichnung, die im November beim Berliner Jazzfest überreicht wird.
Der Jazzmusiker Oli Bott wurde zum Jubiläum der 1. Sitzung des gesamtdeutschen Reichstages vor 150 Jahren vom Deutschen Bundestag mit einer Komposition beauftragt, die musikalisch den Weg von der damaligen inoffiziellen „Kaiserhymne“ zu Joseph Haydns „Lied der Deutschen“ nachzeichnet. Vibrafonist Bott entschied sich für ein Duo mit der Cellistin Anna Carewe. Zu hören und zu sehen unter:
Hamburgs Behörde für Kultur & Medien unterstützt die lokale Jazzszene mit 130.000 €, in Form eines Kompositionswettbewerbs für die „Corona Edition“ des Jazz City Hamburg Samplers 2021. Je nach Besetzungsgröße werden die Projekte mit 1.000 – 9.000 € gefördert. Konzeption und Durchführung übernimmt das Jazzbüro Hamburg.
Seit 2014 unterstützt der Rotary Club Mainz-Churmeyntz hochtalentierte Studierende der Hochschule für Musik Mainz. Zwölf Studierende erhalten eine Förderung von 500 bis 650 €. Bei der Auswahl geht es neben fachlicher Qualität auch um gesellschaftliches und soziales Engagement sowie die wirtschaftliche Situation der Betreffenden.
Der noble Schweizer Grand Prix Musik, vergeben vom Bundesamt für Kultur, ist mit 100.000 CHF dotiert und ging 2021 an Stephan Eicher. Unter den 14 weiteren Musikpreisträgern sind auch der halb in der Schweiz lebende deutsche Posaunist Nils Wogram sowie Yilian Cañizares und Manuel Troller. Verleihung der Preise ist am 17.9. in Lugano.
Für den Kölner Jazzmusiker Dirk Raulf steht fest, wie man damit umgeht, wenn Rechte für die Kultur spenden. Raulf, der derzeit mit der Schauspielerin Meret Becker und einem gemeinsamen Programm mit Lesung und Musik unterwegs ist, zog die Konsequenzen und will in Zukunft nicht mehr im Stadttheater Lippstadt auftreten. Hintergrund des Boykotts war die Spende einer „Sesselpatenschaft“ für das Stadttheater durch den Lippstädter AfD-Vorsitzenden Patrick Rehm. „Ein Theater, das sich nicht scheut, sich neue Sitze von AfD-Lokalprominenz sponsern zu lassen, ist für mich nicht tragbar“, so Raulf. In der öffentlichen Debatte über Cancel Culture scheiden sich sicher die Geister an dieser Entscheidung, aber die notwendige Diskussion darüber ist in Gang. Klar, dass es immer wichtiger wird, im Umgang mit Rechten konsequent zu sein, dennoch hat ja, wer mit dem Po im Theatersessel sitzt, den Kopf frei für den Diskurs.
„Musik liebte er frei von Ambition, aber mit voller Hingabe“, so rief es die BASLER ZEITUNG dem am 8.4. im Alter von 82 Jahren verstorbenen Isla Eckinger nach. Auf jeden Fall war der Dornacher Bassist einer der Großen des Schweizer Jazz. Er begleitete europäische Auftritte von Ben Webster, Chet Baker, Mal Waldron, Philly Joe Jones, Dizzy Gillespie u.v.a. In Deutschland war er Mitglied zahlreicher Besetzungen mit Manfred Schoof, Wolfgang Engstfeld, Klaus Weiss und Fritz Pauer.
Das Festival Jazz in e. im brandenburgischen Eberswalde orientiert sich bereits seit 1995 an zeitgenössischen Ausdrucksformen und neuen Tendenzen des Jazz. Bei der 26. Ausgabe vom 2. – 4.7. spielen live in den Gärten der Stadt: Dell-Lillinger-Westergaard, Nils Wogram, Luise Volkmann, Almut Kühne & Gebhard Ullmann, Klima Kalima, Paul Peuker Trio, Julian Sartorius u.v.a. Dazu eine Ausstellung mit Jazzgrafiken von Matthias Schwarz, und am 3.7. sagt Jazz in e.: „Guten Morgen Eberswalde“.
Der Jazzjournalist Ulf Drechsel hat sich 35 Jahre lang im Radio mit Jazz beschäftigt und so seine persönlichen Interessen zum Beruf machen können. „Das ist ein Glücksfall und ein großes Privileg, was mich mit Dankbarkeit erfüllt.“ Mit diesen Worten geht er in den Ruhestand, verspricht aber, dem Jazz nicht den Rücken zuzukehren. „Wo eine Tür zugeht, öffnet sich meist eine andere“, so der rbb-Radiomann. Auf einer eigenen Website (www.ulf-drechsel.de) wird er sich demnächst zu Wort melden und auch die Gestaltung von Radio-Sendungen nicht ganz aufgeben. Ulf, Sohn des DDR-Jazz-Urgesteins Karl-Heinz Drechsel, organisiert außerdem Konzertreihen, schreibt Bücher und für Musik-Fachzeitschriften, ist CD-Produzent sowie Co-Autor von Reclams Jazzlexikon.
Ferenc Snétberger erhält das Bundesverdienstkreuz. Der seit 30 Jahren in Berlin lebende Jazzgitarrist gründete in Ungarn das Snétberger Music Talent Center, eine internationale Musikschule für sozial benachteiligte, überwiegend den Sinti und Roma angehörende Kinder und Jugendliche. Der Staatssekretär für Kultur, Dr. Torsten Wöhlert, würdigte ihn als „bemerkenswerten Künstler mit starkem Bewusstsein für seine Herkunft und seine musikalischen Wurzeln“. Snétbergers Musik ist geprägt von seiner Heimat Ungarn, der Roma-Tradition, aber auch von brasilianischer Musik, Flamenco, Klassik und Jazz. Er ist Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Salgótarján und Träger des ungarischen Verdienstordens.
Das Festival Enjoy Jazz hat zum International Jazzday der UNESCO mit dem Stream eines Konzerts von Größen der regionalen Jazzszene bisher ca. 3.000 € an Spenden gesammelt, die besonders von der Pandemie betroffenen Musiker*innen zugutekommen sollen.
Veranstalter und Tourismusverband im Steinernen Meer blicken zuversichtlich auf das 41. Saalfelden Jazzfestival. Man kann sich freuen auf das aktualisierte Programm mit u.a. David Helbock, Richard Koch Quartett, Dell/Lillinger/Westergaard, Edi Nulz, Angelika Niescier & Alexander Hawkins, Kuhn Fu VI, Moor Mother & Kœnig, Craig Taborn Trio, Irreversible Entanglements, Lavant Trio, Philipp Gropper’s Philm, Punkt.Vrt.Plastik, Sylvie Courvoisier & Kris Davis, The True Harry Nulz, Rdeča Raketa & Patrick K.-H. & Ivan Marušić Klif, Liun & The Science Fiction Band, Ceramic Dog, Gnigler/Riahi/König, KUU!, Chuffdrone und dem Avram Fefer Quartet.
Mitten in krisengeschüttelten Zeiten ist ein neues Festival in der Kulturregion Mittelhessen am Start. Unter dem Titel Piano Piano Festival bietet der Förderkreis Kultur vom 11. – 18.7. mit dem Kulturamt Gießen und unter der künstlerischen Leitung des o-tone-Chefs Uwe Hager ein ambitioniertes Programm rund ums Klavier. Mit Matthieu Bordenave, Florian Weber, Omar Sosa & Joo Kraus, David Helbock, Johanna Summer, Aki Rissanen, triosence u.a.
Unter dem Motto „Shaping new models for jazz to come“ hat die die INTL Jazz Platform im Club Wytwórnia im polnischen Łódź den Workshop „Footprints / Sustainable Music across Europe” organisiert. Dahinter stecken als Kollaborateure Périscope aus Lyon und die Łódźer Wytwórnia Foundation. Mit Kursen und Konzerten namhafter Künstler. Details siehe Workshops und:
Die Verbindung von alpenländischer Musik und Jazz war dem Schweizer Musiker Hans Kennel (tp, flh, alphorn) zeitlebens wichtig. Der führende Hardbop-Trompeter der Schweiz spielte mit der internationalen Jazz-Avantgarde des späten 20. Jahrhunderts und komponierte auch Film- und Chormusik. Am 14.5. starb er im Alter von 82 Jahren.
Der Schlagzeuger Peter Hollinger war für sein vielseitiges Engagement in der freien Jazzszene und vielerlei anarchistisch-experimentelle improvisierte Musik bekannt (u.a. mit Alfred Harth, Mani Neumeier, Alexander von Schlippenbach, Heiner Goebbels, Elliott Sharp, Fred Frith). Am 31.5. beging er wegen der bevorstehenden Zwangsräumung nach Eigenbedarfskündigung in seiner Wohnung Suizid.
Beim Abschlusskonzert mit dem UMO Jazz Orchestra in Helsinki feierte der Helsinki International Big Band Composing Contest die Komponistin und Pianistin Claudia Döffinger für ihre Komposition „Nachtwache“ und händigte ihr den ersten Preis in Höhe von 3.000 € aus.
Das Land Baden-Württemberg will Musiker*innen bei Auftritten außerhalb des Landes unterstützen und schrieb dafür eine „Exportförderung“ von insgesamt 85.000 € aus. Gefördert werden Reise- und Aufenthaltskosten von Tourneen und Einzelkonzerten.
Medienrummel war garantiert bei der erstmaligen Verleihung des Deutschen Jazzpreises am 3.6. Mit dem Echo-Jazz-Nachfolger verleiht die Initiative Musik mit Projektmitteln der Bundesregierung eine „große Auszeichnung für die Vielfalt und Schaffenskraft der deutschen Jazzszene“. Die vielen Künstler*innen freuten sich sichtlich, dass ihnen – jeder und jedem Einzelnen völlig verdient – insgesamt 31 Preise zu je 10.000 € verliehen wurden. Dennoch sind der Preis, seine Bedeutung und die Umstände seiner Vergabe nicht nur Gegenstand von Jubel, sondern auch von Diskussionen und fundierter Kritik aus Fachkreisen. Empfehlenswert: der kritische Bericht des Kollegen Ulrich Stock auf ZEIT-Online, zu finden unter www.zeit.de/kultur/musik/2021-06/deutscher-jazzpreis-verleihung-preistraeger-vielfalt-jazz. Unter den Preisgewinner*innen: Christian Lillinger (Schlagzeuger und Künstler des Jahres), Shake Stew, Lucia Cadotsch, Daniel Erdmann, Markus Stockhausen, Aki Takase, Fabia Mantwill u.a. International: Carla Bley, Brian Blade, Wolfgang Muthspiel, Jaimie Branch u.a. Club des Jahres wurde das Kölner LOFT. Sonderpreise bekamen die Münchner Unterfahrt, Günther Huesmann für seine journalistische Leistung und Karsten Jahnke für sein Lebenswerk.